Der Metzger geht fremd
hinterher. Wie hoch würden so Priester wie er hinaufkommen, gäbe es tatsächlich einen Himmel?, fragt sich der Metzger, geht vorbei an einem der Gemälde des Kreuzwegs, sieht die darauf abgebildete zärtlich dreinblickende Maria Magdalena und meint: »Gestatten Sie mir zum Abschluss eine Bemerkung, Herr Bichler. Es stünde Ihnen gewiss gut zu Gesicht, gelegentlich auf die freundlichen Mienen der hier herinnen abgebildeten Engel und Heiligen zu achten!« Dass er mit diesem letzten Wort nicht davonkommen wird, war ihm klar, dem Willibald.
»Gott, unser Vater, sorgt schon für Gerechtigkeit!«, begleitet es ihn hinaus ans Tageslicht. Da wird er noch ganz schön Augen machen, der liebe Herr Pfarrer, wie sehr in diesem Fall der Himmel gerade ihn nicht vergisst.
38
E s HÖRTE NICHT AUF. Als läge ein Fluch auf ihr.
Unentwegt bewegten sich ihre Lippen, ihr Kiefer, ihre Zunge, formten ein Wort ums andere und gaben jeden Gedanken frei, hemmungslos. Sie sprach in einem fort, ohne den Drang, atmen zu müssen. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, die Angst im Gesicht und sie selbst erhöht, auf einer gedeckten Tafel, über die Köpfe der anderen hinwegblickend.
Sie presste ihre Hände an den Mund. Ohne Erfolg. Sie presste sie an die Ohren – und erschrak.
Kiemen! Da waren Kiemen!
Kiemen, die flatterten wie eine nasse Fahne im Sturm. Und während neben ihren Schläfen ein fortwährendes Ein- und Ausströmen stattfand, rückten die Zuhörer immer näher, mit entstellten Fratzen und erhobenen Fäusten.
Dann griff die erste Hand nach ihr.
»Ich muss Sie jetzt leider stören, für Sie geht's bald weiter zur Thalasso-Gesichtsbehandlung.«
Jakob Förster ist es nicht, der sie weckt und ihr die Nadeln entfernt, sondern eine gewisse Sandrine, die Ayurveda-Fachfrau des Hauses. Es dauert eine Weile, bis die Djurkovic wieder ganz bei Sinnen ist.
Reden, ohne Luft zu holen, dank zusätzlicher Atmungsorgane! Für manchen Menschen gewiss eine Traumvorstellung, für die Djurkovic eine Wahnvorstellung im Traum. Schnell wird ihr klar, welche Botschaft dahintersteckt. Ihre Klappe hat sie nicht halten können! Am liebsten würde sie sich, ihrer eigenen einfältigen verbalen Inkontinenz völlig bewusst, selbst in den Allerwertesten beißen.
Wie kann man nur so blöd sein, in ihrer Situation? Immerhin war sie selbst diejenige, die sich auf diese elende Tratscherei eingelassen hat. Viel war's ja nicht, was ihr da in Gegenwart von Jakob Förster entwichen ist, aber immer noch genug, um jemanden, der von ihrem Kletterausflug gehört hat, neugierig zu machen, oder jemanden, der mit Professor Berthold befreundet ist, auf die Idee zu bringen, dem Professor die Wahrheit aufzutischen, nämlich dass da ein aufmüpfiger Gast immer noch an eine Mordtheorie glaubt und auch darüber redet. Verunsichert fühlt sie sich, die Danjela, auf sich geworfen.
Wenigstens ist an diesem Wochenende endlich ihr Willibald bei ihr aufgetaucht. Und wie sie da langsam und vereinsamt durch den Gang zum Lift spaziert, wird ihr einmal mehr bewusst: Es ist Liebe.
Die Gewissheit über dieses lodernde Feuer sucht sich ihre eigentümlichsten Schauplätze, und selten ist das der Eiffelturm, die Südsee oder ein romantisches Galadiner. Die Einsicht ins eigene Herz braucht keine aufwendige Inszenierung. Ein leerer Gang und ein wenig innere Einkehr genügen. Irgendwo da draußen ist ihr Willibald, wenn auch momentan offenbar mit schlechtem Empfang, aber allein dass er da ist, in der Nähe, das reicht. Und Nähe heißt zwischen der Djurkovic und dem Metzger nicht ein ständiges Aufeinander-kleben-Müssen und Sich-nicht-aus-den-Augen-lassen-Können. Ihre Nähe braucht kein räumliches Mindestmaß.
Sicher, wenn der Metzger eines Tages mit ihr zusammenziehen will, die Djurkovic würde sofort einwilligen. Auch wenn es darum ginge, ihr nach dem »Danjela« ein »Metzger« anzuhängen. Mehr ginge in ihren Augen immer. Nur dieses mögliche zukünftige »Mehr« ist weitaus bedeutungsloser als die Gegenwart. All das, was eines Tages sein wird, kann niemals mithalten mit dem, was ist. Die Fiktion des Zukünftigen ist in Beziehungsfragen der Tod des Gegenwärtigen.
Und wie sie dann endlich vor der Lifttür steht, könnte sie aus Rührung heulen: Dank ihrem Willibald ist sie nicht mehr allein. Und wie sich dann endlich die Lifttür öffnet, könnte sie gleich weiterheulen. Nicht nur, weil sie in der Liftzelle ebenso nicht allein ist, sondern weil sie die unerwartete Gesellschaft, der
Weitere Kostenlose Bücher