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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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was Willibald Adrian Metzger vom Kaiser-Hof aus tun darf, ist Telefonieren. Und weil er seine Danjela natürlich in keiner Weise aufregen will, ruft er sie ganz gegen sein inneres Verlangen nicht an. Von den verzweifelten Anrufversuchen der Djurkovic samt der Kurzmitteilung weiß er ja nichts, der Willibald, da war das Handy längst herrenlos im Opel Kadett unterwegs.
    In seinem Jackett steckt der Zettel mit der Handynummer von Sascha Friedmann. Zum ersten Mal in seinem Leben spricht er nun mit einer Mailbox, die im Grunde auch nicht anders klingt oder anderes zu sagen hat als ein Anrufbeantworter. Warum der deshalb gleich anders heißen muss, versteht er genauso wenig wie die Tatsache, dass auf Schildern statt » ziehen« und » drücken« »pull« und » push« steht und Häuseln statt mit » Damen« und » Herren« mit » women« und » men« markiert werden. Es wäre doch bei Weitem sinnvoller, etwas gegen den erschreckend hohen Analphabetismus oder die katastrophale Leseschwäche zu unternehmen, als den Menschen auch noch ihre Häuseln, Ein- und Ausgänge anderssprachig zu beschriften. Sinnvoller wäre das natürlich nur, wenn man will, dass die Menschen alles verstehen. Eine Person, die nämlich nicht alles versteht, ahnt erst, wo sie hineinmuss, wenn wer anderer herauskommt. Und wenn es allen so geht, rennt die Masse schließlich völlig automatisiert von vornherein nur mehr durch die hoch frequentierten Türln. Für den Metzger ist das die Symbolik der Globalisierung schlechthin.
    Hier jedenfalls in der rustikalen Bauernstube des Kaiser-Hofs scheint die Welt noch denen zu gehören, die auch in ihr leben müssen. Der Kaffee ist ein lupenreiner Häferlkaffee, so wie er laut der Metzger-Mama auch gehört. Richtig sentimental ist er da gerade geworden, der Willibald, wie ihm die Franzi Kaiser mit den Worten: »Hab ich selbst gemacht« einen kleinen Keksteller auf den wunderbaren massiven Jogltisch abgestellt und, ohne zu fragen, den wohlduftenden Schwarzen mit kalter Milch und zwei Löffeln Zucker beinah zum Übergehen gebracht hat. Schlürfend arbeitet sich der Metzger, zur Tasse vorgebeugt, auf jenen Spiegel hinunter, mit dem sich so ein Häferl auch unfallfrei vom Tisch zum Mund führen lässt. Anfangs ist ihm diese Geräuschentwicklung noch peinlich. Dann jedoch begleitet jedes Mitglied der neugierig am Tisch versammelten dreiköpfigen Kaiser-Familie wie selbstverständlich ihren Kaffee- oder Kakaogenuss auf ebenso geräuschvolle Weise, und der Willibald traut sich erleichtert, den ihm gereichten steinharten Keks in die hellbraune Brühe zu tunken, abermals in Erinnerung an seine Mama. Wie sehr sie ihm fehlt. Eltern fehlen immer, wenn sie unwiderruflich gegangen sind. Selbst denen, die ihren eigenen Erzeugern den Tod gewünscht haben, davon ist er überzeugt, der Metzger.
    Dass er sich da nur nicht täuscht.
    Hier am Kaiser-Hof allerdings, da fehlt wirklich etwas.
    »Opa, Opa, wir haben Besuch, und stell dir vor, der ist gerade zum ersten Mal Traktor gefahren!«
    Tapsig war er ums Eck gekommen, der Reindl-Bauer, der vor zehn Jahren seine einzige Tochter dem zugezogenen Günther Kaiser anvertraut und seinen Reindl-Hof in einen Kaiser-Hof umgetauft hat; natürlich erst, wie ihm die kleine Franzi in seine damals noch kräftigen Hände gelegt wurde.
    »Na, dann lass ihn mal anschauen, deinen Besuch, Franzerl!«
    Seit fast zwei Jahren ist Franzi Kaiser die einzige Dame im Haus, weil sie der Himmel auch was anschauen hat lassen. Nämlich, dass es auf dieser Erde alles gibt, nur keine Gerechtigkeit. Teresia Kaiser, die trotz ihrer Eheschließung immer die Reindl Resi geblieben war, wurde, wie der Pfarrer Bichler beim Trauergottesdienst erklärt hat, vom Herrgott zu sich gerufen.
    Und weil die Franzi Kaiser auch immer gerufen wird, wenn es Bedeutsames zu erzählen gibt, ist sie einfach während seiner Predigt aufgesprungen und hat vor der ganzen versammelten Gemeinde wissen wollen: »Was will denn der Herrgott meiner Mama so Wichtiges sagen, dass er sie da extra zu sich rufen muss? Und wann kommt sie bitte wieder nach Hause?« Genau das hätte jeder damals gerne wissen wollen, jeder. Pfarrer Bichler konnte aber beim besten Willen nicht erklären, was der Herrgott einer zweiunddreißigjährigen überglücklichen Mama denn so Wichtiges zu sagen hätte, dass er sie extra von einem ausscherenden Lkw zu sich ruft, während sie mit dem Rad fröhlich pfeifend nach Hause fährt.
    Der Opa hat es der Franzi dann zu Hause

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