Der Metzger holt den Teufel
durchblickt, tiefe Ängste hervorruft – wobei im Falle des Beichtstuhls nicht gesagt ist, dass da auf der anderen Seite überhaupt jemand sitzt. In der Psychiatrischen ist der Mensch aber immer vorhanden, und selbst wenn dieser Mensch so wie zurzeit Trixi Matuschek-Pospischill nichts spricht, hört er vielleicht aufmerksamer zu, als man glauben mag, und hat am Ende mehr zu sagen als: »Drei Vaterunser, vier Gegrüßet seist du Maria und ein Kerzerl beim Hauptaltar!«
Und irgendetwas muss ihr erzählt worden sein, der Trixi, denn wie die Danjela ihr Zimmer betritt, liegt ein vor sich hin weinendes Häufchen Elend im Bett.
»Wenn sie mal zu heulen anfängt, können wir uns schon freuen!«, wird der Djurkovic aus dem Hintergrund erklärt.
Ein junges philippinisches Fräulein steht lächelnd beim Fenster. An ihrem blauen Kittel steckt ein Schild mit dem Namen Mary Joy. Liebevoll begrüßt sie den Stammgast, wendet sich der Patientin zu und verdeutlicht, was den Unterschied ausmacht zwischen prämortaler Säugetierbetreuung auf Schlachthöfen und Krankenpflege – und den kennt nicht jeder hier.
Mary Joy jedenfalls wendet sich der Patientin zu, spricht freundlich auf sie ein und erzählt auf diese Weise dem Besucher, was er wissen muss: »Na, liebe Frau Matuschek-Pospischill, geht es Ihnen ja heute schon besser, schön. Weinen Sie nur, solange es geht. Die Frau Djurkovic ist auch wieder da. Jeden Tag kommt sie zu Ihnen, soeine tolle Freundin haben Sie. Ganz still wird sie jetzt bei Ihnen sitzen bleiben, gell. Denn die brauchen Sie dringend, die Ruhe, damit alles schön herauskann, ohne Ablenkung, das wissen wir ja, machen Sie sich also keine Sorgen, liebe Frau Matuschek-Pospischill!«
Beim Hinausgehen nickt sie freundlich und bedeutet, still zu sein.
Nur, wie soll die Djurkovic da still bleiben, denn es dauert nicht lange, und zu den bitteren Tränen ihrer Freundin mischen sich Worte: »Wir schaffen das, wir schaffen das!«
»Ja, Trixi, schaffen wir alles«, antwortet sie, auch wenn mit diesem Wir von der Gegenseite ganz wer anderes gemeint war.
Jetzt ist es natürlich ein ureigenes menschliches Bedürfnis, Neuigkeiten umgehend weiterzuerzählen. Und dass Trixi Matuschek-Pospischill langsam aus ihrer Erstarrung zurückkehrt, ist ohne jede zeitliche Verzögerung erzählenswert. Wenn es nur jemanden zum Erzählen gäbe. Danjelas Willibald ist mit Petar Wollnar unterwegs, und Sophie Widhalm hebt nicht ab.
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D IE D INGE SIND ETWAS außer Kontrolle geraten, obwohl es ihm die ganze Zeit um nichts anderes ging, als sie zu kontrollieren. Nicht, dass er sich deshalb sorgen würde. Alles lässt sich richten. Still und heimlich ist neben ihm eine Front herangewachsen, die ihm nun entgegentritt.
Alles ist bisher perfekt gelaufen: das Wählen des Zeitpunktes, die lange Vorbereitung, das ewige Recherchieren, die Auswahl der Opfer, die Reaktionen auf seine Köder, auch der Mord am Kommissar, nach dem schließlich alle blindwütig wie Lemminge ins offene Messer gelaufen waren, einfach alles. Bis auf die Tatsache, dass er das unerwartet Aufgetauchte völlig falsch eingeschätzt, nicht ernst genommen hat. Aus Überheblichkeit, aus derselben Arroganz heraus, mit der auch sein Ziel Rupert von Leugendorf dem Irrglauben verfallen war, ein Leben lang immun zu sein – und das ärgert ihn. Es könnte wider Erwarten doch noch etwas gefährlich werden, wenn er nicht schleunigst gegensteuert, sich einen empfindlichen Punkt sucht und dort ansetzt. Bis zum Abend muss er noch durchhalten, dann gehört sie wieder ihm, die Nacht. Und ja, es hat auch etwas Gutes, in mehrfacher Hinsicht: Er darf es erneut tun, und diesmal wird es wieder eine Frau sein, nur die Vorgehensweise muss er ändern. Und nein, er wird es nicht in seinem eigenen Namen tun müssen, denn Eugen von Mühlbach ist immer noch auf freiem Fuß. Eugen von Mühlbach, der Zuschauer. Auch zuschauen kann zum Tod anderer führen, und genau das wird die Methode sein. Sie ist dem Mühlbach-Erben wie auf den Leib geschnitten. Genauso wie das Opfer. Was liegt näher, als sie loswerden zu wollen. Langsam verrecken muss er sie lassen, ganz ohne die Courage, einzugreifen, ganz im Stile Eugen von Mühlbachs.
Er fühlt sich wieder gut, ja, alles hat seinen Sinn, er hat sich diesen glücklichen Zufall verdient.
Dann läuft es eben am Ende etwas anders.
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S CHÖN HAT SIE’S HIER , der Ausblick ins Grüne, die Parkgarage, der Supermarkt und die Busstation ums Eck. Sophie Widhalm
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