Der Metzger holt den Teufel
Symbolsprache für ein fortgeschrittenes Alter. Ausdruckskunst mit einfachen, schnörkellosen, klaren Bildern. Und diese Bilder lösen einen Ausruf des Erstaunens aus.
Es sind düstere Zeichnungen. Hauptsächlich strichmännchenähnliche Figuren mit Köpfen ohne viel Firlefanz, denen allesamt die Bösartigkeit, das Teuf lische ins Gesicht geschrieben steht. Je mehr der Metzger freilegt, desto mehr Köpfe kommen zum Vorschein, immer paarweise. Zwei Totenköpfe, zwei auf Pfähle gespießte Köpfe, zwei Köpfe mit blutenden Einschusslöchern, zwei Köpfe am Fuße eines Schafotts, dazwischen zwei Strichmännchen am Galgen und zwei Gräber, wobei bei dem einen in der linken oberen Ecke unter Einbindung der beiden Seitenlinien so etwas Ähnliches wie eine nach unten hängende Krone, die ein wenig wie der Buchstabe W aussieht, zu erkennen ist und beim anderen einfach die rechte obere Ecke deutlich dicker gezeichnet wurde. Schaurig ist der Anblick, und, das muss sich der Metzger nun leider eingestehen, die Tapete war wirklich schöner. Eine derartige Bildsprache, versteckt im Inneren eines Kastens,deutet nicht unbedingt auf eine glückerfüllte Hand des Künstlers hin!
Bis zum frühen Nachmittag kann er sich arbeitender- und fluchenderweise auf den Beinen halten. Einzige Lichtblicke in dieser Tristesse sind die beiden Anrufe seiner Herzensdame inklusive der aus dem Hintergrund zugerufenen gut gelaunten Grüße von Halbschwesterchen Sophie. Ausgeschlafen dürfte sie also sein. Ganz im Gegensatz zu Willibald Adrian Metzger. Lange dauert es nicht, dann fordert sein Köper ziemlich ansatzlos mit auf der Werkbank aufgestützten Armen den Preis für die ihm geraubte Nachtruhe.
Von Ruhe kann dann aber nicht die Rede sein.
Ein unbekanntes »Hallo?« lässt ihm beinah das Herz stillstehen. Er hat Besuch! Wie elektrisiert reißt es ihn hoch. Einmal mehr steht unweit entfernt eine elegante fremde Dame mit einem an sich hübschen Gesicht, wären da nicht die deutlichen Anzeichen des Kettenrauchens, die dunklen Augenringe und dieser auf Anhieb unsympathische Kontrollblick. Skeptisch mustert sie den Metzger von oben bis unten. Eine von vornherein derart verhärmt dreinblickende Dame ist für gewöhnlich Innenministerin oder Notstandshilfebetreuerin am Arbeitsamt.
»Hab ich Sie erschreckt?«
»Nein, nein!«, antwortet der Metzger brüchig. Stattdessen will er wissen: »Wie sind Sie denn hier unbemerkt hereingekommen?«
»Teleportation.«
Etwas braucht er jetzt, der Willibald, dann wird ihm neben der Unsinnigkeit seiner eigenen Frage klar: Aha, eine Lustige also!
»Wenn Sie die Glocke nicht hören, und die ist ja nicht grad leise, würde ich während des Nachmittagsschläfchens an Ihrer Stelle zusperren. Es gibt Böses auf dieser Welt!«
Und eine Gescheite ist sie auch noch, wunderbar!
»Nicht gerade viel zu tun? Kann man von dem da denn überhaupt leben?«, setzt sie fort, deutet in die Werkstatt und legt offenbar keinen Wert darauf, neue Freunde zu gewinnen.
»Gestatten Sie mir die Frage: Sind Sie vom Finanzamt oder von der Wohlfahrt?« Jetzt ist er putzmunter, der Willibald.
Und dann geschieht ein Wunder. Die Dame kann lächeln, was den in Fahrt gekommenen Willibald gleich noch ein wenig mehr beschleunigt: »Gestatten Sie mir gleich die nächste Frage: Lachen Sie mich jetzt an oder aus? Ich tippe nämlich auf Zweiteres.«
»Na, wenn Sie zu jenen Menschen gehören, die gerne Lotto spielen, dann tippen Sie. Allerdings hoffe ich schon, Sie bauen Ihre Theorien auf festeren Boden.«
»Theorien? Ich bin Handwerker, Frau …?«
Die Frage nach dem Namen wird übergangen, dafür protzt sie mit ihrem Wissensvorsprung: »Ein Handwerker sind Sie? Das kommt mir aber nicht so vor, Herr Metzger, Willibald Adrian Metzger, denn sonst wäre ich gar nicht hier. Grund für meinen Besuch, der hiermit endet, sind besorgniserregende Neuigkeiten.« Dabei dreht sie sich auch schon wieder um, geht zum Ausgang, öffnet die Tür und erklärt mit auffordernd ernstem Blick, mitten hinein in den hohen Glockenton: »Ein Theoretiker sind Sie, einer, der offenbar nichts von der Umsetzung in die Praxis hält. Und wissen Sie, warum? Ein Junge wurdeüberfahren, ich mag ihn zwar nicht, aber als Freund taugt er was! Da hat es jemand einfach nicht der Mühe wert gefunden, vor Svens Skateboard die Bremse zu betätigen. Ja, das können sie hervorragend, die Menschen, aus Bequemlichkeit einfach alles laufen lassen, nicht wahr, Herr Metzger. In diesem Fall wird
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