Der Metzger holt den Teufel
Danjela das eben Geschehene und findet sich inhaltlich umgehend unter dem Louis-seize-Kasten in seiner Werkstatt, wobei er da den Gedanken nicht loswird, es wäre vielleicht doch besser gewesen, das dort als Reservebein missbrauchte Gedruckte etwas genauer zu studieren.
»Weißt du, ist so mit Frau, nein, mit Mensch: Sprache ist Ursache für Missverständnis. Sprache oft nix gut für Verstehen, aber gut für Lesen zwischen Zeilen. Vergisst du also, was hat Frau gesagt, sondern schaust du nur, was hat Frau nicht gesagt. Hat sie geredet von Philipp?«
»Nein, hat sie nicht.«
»Denk ich, hat sie schon. Weil, warum hat gesagt: ›Schon wieder Glück gehabt.‹ ›Schon wieder‹ kann heißen, dass ist auch beim letzte Mal nix passiert, und letzte Mal war Philipp Konrad.«
»Da braucht man wirklich viel Phantasie, um das zwischen den Zeilen zu lesen. Und wo, bitte schön, ist dann dieser Philipp Konrad? Und was hat die Frau mit dem Bengel zu tun? Vielleicht meint sie mit Glück auch das zurückgekehrte Sakko?«
»Zurückgekehrtes Hochzeitssakko von untreue Vater, das ist nix Glück, Willibald, das ist böse Natur von Schicksal. Meint sie mit Glück irgendwas, was hätte auch gehen können nix gut aus. Außerdem, kann sein, dass Frau war bei dir in Werkstatt, weil weiß sie, dass jeder Mann, bevor geht er in Offensive, braucht kräftige Tritt in Allerwerteste!« Und leid tut es der Danjela, dass ihr in der eigenen Beziehung ausgerechnet dazu der Mut fehlt. Dennoch setzt sie hinzu: »Bist du wie Schale ohne Boden. Wenn will jemand bei dir abladen seine Problem, fallt zwar hinein oben, aber fallt wieder sofort hinaus unten! Machst du dir ja keine schlechte Gewissen!«
Diesen Tipp dürfte sich wenig später auch der Schirm in seiner Hand zu Herzen genommen haben, denn das, was von oben darauf landet, kommt fein zerstäubt am darunter marschierenden Willibald an. Ein Spargeschenk, das sich die entsprechende Bank hätte sparen können. Draußen regnet es. Es ist genau dieser Herbstnieselregen, der einem die feuchte Kälte in den Kragen kriechen lässt und aus einer Wolke zu Boden fällt, die bis zu den dumpf über den Gehsteig laufenden Sohlen zu reichen scheint. Nebel hat sich zwischen die Häuser gelegt und verwandelt alles Bekannte in schaurige Umrisse. Dennoch spaziert der Metzger zielsicher zu der von ihm angekündigten Abschleppung.
Ohne die Schulwartwohnung zu betreten, erklärt er mit striktem Ton: »Zieh dich an!«
»Aber bin ich so müde!«
»Madame Djurkovic, eine derartige Ausrede kannst du dir für unser Zehnjähriges auf heben!«
Die Djurkovic muss lachen und verteilt einen herzhaften Kuss auf seine Wange. »Vielleicht ist dir schon aufgefallen, bin ich Frau. Also, anziehen wofür?«
»Wofür, wofür, wofür!«, wird ihr schmunzelnd erwidert: »Müsst ihr Frauenzimmer immer wissen, was kommt? Einen warmen Pulli zieh an und eine Jacke, fertig! Edgar bleibt da.«
Dann geht es auf die bereits von Laternen beleuchtete Straße, und schon nach wenigen Metern nimmt Danjela Djurkovic die vom Metzger so geliebte Haltung der Zugehörigkeit ein, nicht das Händchenhalten, nicht das Umarmen oder der ebenso oft gesehene devote Abstand des unterwürfigen Weibchens einen Meter schräg versetzt hinter dem patriarchisch voranschreitenden Männchen, sondern das Einhängen des Armes der Dame in die Ellbogenbeuge des Herrn. Für den Metzger gibt es kein schöneres Bild der Einheit. Jeder weiß, die zwei gehören nicht nur zusammen, sie gehen auch zusammen, schon länger und für länger.
»Für länger gehen hab ich aber nix an richtige Schuhe!«
»Gleich sind wir da!«
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S ANDRA K AINZ IST LEICHENBLASS , immer wieder liest sie den letzten Eintrag.
Dann schlaf gut, während sie Nummer 1 finden. Dann schlaf gut, bevor es morgen weitergeht.
Kammerton spricht sie persönlich an, und zwar als Einzige, und er schaltet sich immer erst dann ein, wenn sie zuvor etwas geschrieben hat. Warum? Kein Auge kann sie zumachen, denn wenn sie auch nicht weiß, was all diese Einträge sollen, eines steht fest: Es macht ihr Angst.
Am nächsten Tag klinkt sie sich ein, zum ersten Mal so zeitig in der Früh, und erlebt eine Erschütterung. Fast alle sind sie online, als gäbe es die Zeit nicht, als gingen die anderen mit vor die Brust geschnallten tragbaren Computern durchs Leben. Heißt mobiles Internet, selbst am Wochenende mit der vorhandenen Mobilität nichts anfangen zu wissen und deshalb einsam in eine virtuelle zu starren? Die
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