Der Metzger holt den Teufel
Wald geleiten, und es muss schnell gehen.
Aus der Ferne ist der nächste Schuss zu hören. Im Liegen zieht sie ihre Warnweste an, springt blitzschnell auf und beginnt zu laufen. Aus der Drückjagd ist eine Hetzjagd geworden, nur mit vertauschten Rollen. Der Fuchs hetzt die Meute.
»Dort, dort ist sie! Jetzt schnappen wir dich!«
Das werden wir sehen! Im Höllentempo geht es durchs Geäst, immer wieder dreht sie sich kurz um. Der Abstand wird zu groß, sie muss ihr Tempo etwas zügeln, sie darf die beiden nicht abhängen, unter keinen Umständen. Der dichter werdende Wald macht den Sichtkontakt schwierig.
Hinter einer Fichtengruppe schlägt sie einen Haken, streift ihre Weste ab, kreuzt gebückt auf die andere Seite, sucht Deckung und wartet.
Rupert von Leugendorf und Eugen von Mühlbach wechseln nun zwischen Gehen und Laufen, ihnen ist die Erschöpfung anzusehen. Wieder sind Schüsse zu hören, Sophie ist ihnen näher gekommen. Ihre einzige Möglichkeit ist es, Zuflucht bei anderen Menschen zu suchen.
Pause genug, die beiden sollen sich nicht erholen.
Warnweste überziehen, sich zeigen und im Laufschritt weiter ihrem Ziel entgegen.
»Dort drüben, sie ist auf der anderen Seite! Du bist ein zäher Brocken, Widhalm, aber hier kommst du nicht davon, du kommst uns gar nicht mehr davon. Das war dein letzter Fehler!« Der Hass ist Rupert von Leugendorf anzuhören, er ist sichtlich angeschlagen, sein Gesicht blutet, sein linkes Bein scheint etwas zu lahmen.
Wie vielen Frauen haben diese beiden verwöhnten Söhne schon ungestraft derartiges Leid zugefügt? Sophie Widhalm graut. Die Szene am Frühstückstisch geht ihr durch den Kopf, unverkennbar wurde Clarissa von Hohenried zur Geächteten, und anstatt sich zur Wehr zu setzen, ließ sie die Häme über sich ergehen. Was für Druckmittel haben diese beiden Bestien, ist es die finanzielle Abhängigkeit der jeweiligen Väter, suchen sie sich so ihre Opfer, sichern sie so deren Schweigen, müssen die Töchter für die Karrieren ihrer Väter bezahlen?
Die Schüsse kommen näher.
Mittlerweile ist es nur noch ein gemächliches Dahinjoggen, so eines, wie es Sophie Widhalm jeden Morgen gemütlich an ihren Dauerlauf zur Herz-Kreislauf-Beruhigung anhängt.
Dann sieht sie das orangefarbene Band. Jetzt kann es losgehen.
Sophie Widhalm ist sich völlig im Klaren, wie übel die Geschichte ausgehen kann, der Gedanke an Barmherzigkeit kommt ihr allerdings keine Sekunde.
Was soll sie auch für derartigen Abschaum Mitleid empfinden. Ein Stückchen joggt sie noch dahin, dann reduziert sie das Tempo auf ein kommodes Schlendern.
»Jetzt haben wir diese dreckige Schlampe, sie wird müde!«
Langsam und unübersehbar zieht sie ihre Warnweste aus und behält sie in der Hand.
»Schau, die will Verstecken spielen und sich aus dem Staub machen, nicht blöd! Dass sie da nicht früher draufgekommen ist. Schnell, weg mit unseren Westen, sonst stehen wir in der Auslage!«
Zwei Warnwesten flattern zu Boden, auch Privatschulbildung schützt vor Dummheit nicht. Sophie Widhalm marschiert ein gutes Stück demonstrativ langsam weiter, genau in den vorgesehenen Bereich, lässt ihre zusehends erschöpfter wirkenden Spielkameraden nahe herankommen und lächelt ihnen zu.
»Jetzt bist du fällig, und das wirst du nicht mehr vergessen, das schwör ich dir!«
So schnell können die beiden Herren gar nicht schauen, da schaltet ihr Opfer scheinbar völlig unangestrengt einige Gänge höher. Sophie Widhalm zieht im Laufschritt ihre Warnweste über und nimmt ein Höllentempo auf.
Jetzt beginnt die Vorstellung.
»Ja, spinnt denn die!«
Rupert von Leugendorf ist nicht mehr fähig nachzusetzen, nur Eugen von Mühlbach kämpft sich noch voran.Immer wieder stolpert er erschöpft und landet auf allen vieren.
Dann fällt der Schuss.
Horst Erhardter macht das für die Mühlbachs schon sehr, sehr lange. Und Spaß ist das keiner. Bei einer professionellen Drückjagd arbeitet man mit Profis, da weiß jeder, was zu tun ist, aber bei so einer Unterhaltungs-Herumballerei der hohen Herren, die sich aus rein gesellschaftlichen Gründen versammeln und wie Helden durchs Gemüse marschieren, da hat man es zeitweise wirklich mit Idioten zu tun.
Er ist ein guter Schütze, der Herr Erhardter, auch wenn ihn die letzten Jahre ob des vielen Obstlers die Sehkraft schon ein wenig verlassen hat. Trotzdem, er ist sich einfach sicher: Da war ihm ein Treiber durchs Schussfeld gelaufen, hundertprozentig. Laufen bei Drückjagden
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