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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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denn bereits morgen schon wird dieses Schicksal selbst die größten Einfälle vergessen machen. Die Kälte kommt plötzlich, überdeckt alles, der Schnee ändert die Konturen, und Eduard Pospischill ist wieder nicht erreichbar.

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    »H ABT IHR EURE H ANDYS ABGEDREHT , dass mir ja keines klingelt, denn auffallen wollen wir hier nicht!«, waren seine Worte im Foyer.
    Abermals besucht Eduard Pospischill ein Konzert, diesmal erst im zweiten Teil, diesmal dienstlich, diesmal adjustiert, als hätte er vorgehabt, die Vorstellung auszulassen und sich gleich ein Bier im Beisel ums Eck zu genehmigen, diesmal ganz oben, Galerie letzte Reihe, mit Fernglas in der Hand. Wenn sie auch noch nicht viel wissen, die Damen und Herren von der Polizei, eines vermuten sie aber: Der Jäger ist hier, sitzt irgendwo im Publikum und beobachtet seine nächste Beute.
    Irene Moritz wurde dazu vergattert, versteckt im Eingangsbereich Fotos von all jenen zu schießen, die in der Pause oder früher das Konzert verlassen. Herbert Homolka wurde in eine Balkonloge gesetzt. Ja, und Eduard Pospischill hockt am hintersten und höchsten Platz des Saales. Hier ganz heroben, auf den billigsten Plätzen, das ist schon mehr die Welt des Kommissars. Die Anzüge sitzen um einiges schlechter, so mancher trägt nurein Sakko zur Jeans, auch die Damen, die Gesichter sind ungezwungener, man nickt beim Einnehmen des Platzes dem unbekannten Sitznachbarn freundlich zu, und es kommt einem fast so vor, als gehöre man zusammen. Wenn man niemanden mehr unter sich hat, ist man eben unter sich, das gilt hier ausnahmsweise auch für die weniger betuchte Schicht dieses Landes.
    Es ist das letzte Konzert dieses Orchesters in der Stadt vor der Weihnachtszeit und dem Jahreswechsel. Bis dahin begibt sich die Herrentruppe in altehrwürdiger Traditionsbesetzung auf Konzertreise. Japan, China, USA, wohin auch immer, dem Pospischill ist das Wohin egal. Hauptsache, weg. Sicher, das wird schon erholsam, endlich diese mühsamen Verhöre von der Tagesordnung streichen zu können, froh ist er aber wegen etwas anderem. Denn diese Reise könnte, sollte es zu weiteren Morden kommen, der Auf klärung dienlich sein. Wenn nämlich die nächste Leiche mitgereist ist, gilt das auch für den Mörder, und wenn nicht, dann hockt der Übeltäter daheim.
    Das Ende der zweiten Hälfte bereitet mit dem letzten Werk dieses Abends nun sogar den Ohren des Kommissars Freude. Joseph Haydn steht auf dem Programm. Vierter Satz der Sinfonie Nr. 45, auch genannt Abschiedssinfonie. Diesmal hat sich Eduard Pospischill bereits vor dem Konzert ein Programmheft zugelegt und ist im Bilde: Mit diesem Werk wolle das Orchester seinen treuen Freunden für einen doch langen Zeitraum gebührend Lebwohl sagen. Im vierten Satz folge nach einem Presto ein Adagio, während dem die Musiker laut Anweisung der Partitur der Reihe nach zu spielen auf hören und an diesem Abend symbolisch für die bevorstehende Reise die Bühne verlassen werden.
    Eduard Pospischill ist wie ausgewechselt, die Leichtigkeit Haydns wickelt ihn um den Finger. Versteckt hinter seinem Fernglas, beobachtet er das Publikum. Volles Haus, nur die großen Namen der konservativen Kreise dieses Landes fehlen im Parkett, denn soviel er weiß, werden heute rund ums Palais Mühlbach Wildschweine gejagt, also die Entwicklungen dieses Landes besprochen, auf Basis freundschaftlicher Wirtschaft die besten Posten besetzt und sich gegenseitig die ertragreichsten Geschäfte zugeschoben. Was, um im Jägerjargon zu bleiben, des Öfteren nichts anderes bedeutet, als dass das Land selbst dabei den Bock abschießt.
    Ein Herr mit rotem Haupthaar sticht dem Pospischill dann aber doch ins Auge: »Was macht der Mühlbach-Neffe Albert da unten, warum ist gerade der heut da?« Und weiter schwenkt er sein Fernglas. Er sieht den einen oder anderen vor sich hin schlummern, er sieht in einer Balkonloge rechts der Bühne den höchst aufmerksamen Herbert Homolka, er sieht seinen Vorgesetzten Oberst Reinfried Jung mit Ehefrau, er sieht ein paar Regierungsmitglieder aus den linken Kreisen, die sich ihre Posten anstatt mit Gewehr im Anschlag mit unbewaffneten Anschlägen ohne Gewähr erjagen, auch innerhalb der eigenen Reihen, er sieht äußerst grimmig dreinblickende Musiker, und er sieht das erste Orchestermitglied aufstehen. Jetzt geht es also los.
    Die Oboe, oder eigentlich der Oboist, hat sich erhoben und nach einem kurzen Solo auch das Horn. Beide nicken sich zu, schnappen sich ihre

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