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Der Metzger holt den Teufel

Der Metzger holt den Teufel

Titel: Der Metzger holt den Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Ist ein Rupert von Leugendorf tatsächlich dazu fähig, derart abscheuliche Morde zu begehen? Alles fügt sich so perfekt ineinander, nichts spricht für ihn, und gerade das macht den Metzger stutzig. Wenn ein Zahnrad ins andere passt, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder es handelt sich tatsächlich um die Wahrheit, oder ein hervorragender Konstrukteur ist am Werk. Weiter macht es den Metzger stutzig, dass es zu einem derart verunstalteten Gesicht wie dem des Leugendorf nicht irgendwelche Zeugen gibt, denn für die Morde ist einfach noch kein ernst zu nehmender Beobachter aufgetaucht  – und genau bei diesen Gedanken macht es klick im Hirn des Restaurators: klick im wahrsten Sinn des Wortes, denn er sieht ihn wieder vor sich – Ibrahim Leitzelsdorfer samt seinem Fotoapparat und dem damit verbundenen geistigen Rempler. Der Schmerz der letzten Tage hat derartige Gedanken einfach nicht zugelassen.
    Ein Blick ins Branchenverzeichnis und ein kurzer Anruf genügen, dann macht er sich auf den Weg.

    Die Fahrt zu seinem nördlich gelegenen Ziel dauert laut Fahrplan exakt vierzehn Minuten, nach zwanzig ist er am Ziel. Die Hochrechnung dieser Verspätung bis zur Endstation erspart sich der Willibald, oft braucht er die Bahn ja ohnedies nicht.
    Während im Süden der Stadt bei diversen Wanderungen feste Schuhe und eine gute Kondition vonnöten sind, ist die einzige ernst zu nehmende Erhebung im Norden die Mülldeponie. Was sich natürlich auf die Grundstückspreise und folglich das soziale Gefüge auswirkt. Dieser flachen Ausgedehntheit kann der Metzgeraber schon einiges abgewinnen. Sie vermittelt eine seltsame Form der Stille. Weite Felder und Gewächshäuser prägen das Bild, Pappeln durchziehen in geraden Linien die Landschaft und fangen den Wind, Kirchtürme überragen die Häuser und fangen den Blick, ja und genau diese Häuser, besser gesagt, Reihenhäuser, fangen das Leben. Denn dieses soziale Gefüge, das der Großstadt immer mehr den Rücken kehrt, weil es wenige Kilometer außerhalb für weniger Geld mehr bekommt, auch Sicherheit, heißt Familie. Hier ist sie einfach kleiner, die Angst, wenn die Kleinen in den Kindergarten und die Schule gehen, hier grüßt man lieber den Nachbarn in der Regionalbahn, als sich im Gedränge einer Schnell- oder U-Bahn zu verlieren, bläst am Wochenende den Plastikswimmingpool auf, zündet die Grillkohle an und sieht den Sprösslingen in der Wohnstraße beim Spielen zu, anstatt ihnen am Spielplatz unter der Schaukel gebrauchte Kondome und Einwegspritzen aus der Hand zu reißen.
    Auch dort, wo der Metzger nun aussteigt, ist es ruhig. Kein Hetzen, kein Dröhnen, die Straße neben dem kleinen Bahnhof ist menschenleer, sein Ziel auf einem grünen Metallschild angeschrieben. Ein kleiner Fußmarsch vorbei am nahe den Gleisen gelegenen gepflegten Siedlungsgebiet, vorbei an einem großzügigen Kinderspielplatz, vorbei an zwei Müttern mit Kinderwagen, vorbei an einem gläsernen Gewächshaus. Dann ist er da.
    Wunderschön, genauso hat er sich das vorgestellt. Ein Mischwald der besonderen Art eröffnet sich vor seinem Blick, unübersehbar beschriftet mit Gärtnerei Seipold.
    Ganz anders als im Baumarkt letzte Woche strotzt hier alles vor Gesundheit, saftig stehen die Pflanzen im Grün,herrlich duftet es, alle paar Meter anders, überall stehen wunderschöne Terrakottafiguren, aus Holz geschnitzte Gartenzwerge, Pavillons und Bänke. Einfach idyllisch.
    Von hinten legt sich eine Hand auf Willibalds Schulter, dann hört er mit brummiger Stimme: »Herr Metzger, stimmt’s? Sie haben vorhin angerufen. Kommen Sie, ich bring Sie zu ihm. Er freut sich schon!«
    Unter einem ausgefransten Strohhut lachen dem Metzger aus einem sonnengegerbten, faltigen Gesicht aufmerksame Augen entgegen. In seinem grün karierten Hemd, seiner Latzhose und mit der Schaufel in der Hand sieht er fast so aus wie einer seiner Gartenzwerge, der Herr Seipold.
    »Schön haben Sie es hier!«
    »Ja ja, das ist mein Paradies. Wir haben’s ja immer so schön, wie wir’s uns machen!«
    Oskar steht bei den ganzjährigen Erdbeeren und zupft trockene Blätter heraus.
    »Oskar, Besuch für dich!«
    Wie kann man Freude besser zum Ausdruck bringen als mit: »Kosten Sie!«
    Während die Mundhöhle all die nach einem Tag noch nicht gänzlich verfaulten Exemplare einer im Supermarkt frisch gekauften Schale benötigt, um halbwegs herauszufinden, was da zwischen den Zähnen zermahlen wird, weiß sie hier bereits nach einem einzigen

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