Der Metzger holt den Teufel
Leugendorf-Verhaftung sickert noch am selben Tag zu den Medien durch. Was kein Durchsickern benötigt, ist die Aufzählung der Ausschweifungen dieses Unholds, dieses verkappten Genies, dieses Mörders. Weiter bedarf es vonseiten der Medien keiner Anfrage der Art: »Bürgerinnen und Bürger des Landes, meldet euch und erzählt uns von diesem Herrn!«, viel eher können sich die Redaktionen bei einem derartig selbstständigen Ansturm nicht gegen den Eindruck wehren, es wäre Ferienbeginn und ihre Stiegenaufgänge die deutsche A9 ab Pfaffenhofen, die A8 Irschenberg oder die österreichische A10, Tauernautobahn. Ferienbeginn auch deshalb, weil einige der anwesenden Damen endlich ihrer Seele Urlaub gönnen und sich das Herz ausschütten. Ein Rupert von Leugendorf im Knast nimmt offensichtlich Ängste. Sophie Widhalm muss also vorerst gar nicht von ihrer geglückten Flucht erzählen, denn es gibt Kolleginnen, die zu berichten haben, wie so ein Indianerspielen endet, wenn sich ein Klebeband nicht durchtrennen lässt.
Kein Mensch interessiert sich für Themen wie Unschuldsvermutung, Vorverurteilung, Rechts- oder Medienstaat.Wozu auch, bei Rupert von Leugendorf sprechen die Dinge für sich. Und weil natürlich auch Rupert von Leugendorf selbst für sich spricht, streitet er nicht nur konsequent die Morde ab, sondern weist mit dem Namen Eugen von Mühlbach ebenso konsequent darauf hin, dass sie bei ihren Spielchen immer, wirklich immer eine Dreiergruppe gewesen seien. Also jeweils eine der Damen, Eugen von Mühlbach und er, und dass die Damen ja eigentlich recht gern dabei gewesen seien.
Dabei hat er natürlich vergessen, dass sich nur er völlig aussichtslos in Untersuchungshaft befindet, folglich nur er keine Gefahr mehr darstellt und demzufolge nur er in den Erzählungen der Betroffenen vorkommt. Als schließlich eine Zeitung beginnt, die von den Frauen angegebenen Tatzeitpunkte abzudrucken, ist der Wirbel im Land perfekt. Zehn Jahre liegen da dazwischen, was bedeuten könnte, dass viele der Betroffenen schweigen. Nur warum? Wie war es Rupert von Leugendorf überhaupt möglich, so lange ungeschoren davonzukommen? Die offizielle Erklärung könnte gewöhnlicher nicht sein: Erpressung der Betroffenen. Erpressung im Sinn: »Schätzchen, du glaubst gar nicht, wie leicht wir mit unseren Kontakten dein Leben und vor allem das deiner Familien, insbesondere deines Vaters, ruinieren können!« Vater deshalb, weil der Dienstgeber dieser Herren ein noch höherer Herr gewesen ist, nämlich Seniorchef Richard von Leugendorf höchstpersönlich. Gewesen deshalb, weil die Väter jener Damen, die sich zu einer Aussage überwinden konnten, allesamt bereits ihren letzten Dienstgeber haben, also tot sind.
Jene einfache Rechnung mit Rest, die gespielt wurde, wenn unter den Damen ein ungezogenes Mädchen dabeiwar und diese Erpressung nichts nutzte, verlief folgendermaßen: Der Leugendorf-Papa deckt aus Angst vor der möglichen Rufschädigung seinen missratenen Sohn und investiert Schweigegeld, und zwar reichlich Schweigegeld. Diesem Schweigegeld folgt der Karrieresprung des Vaters der jeweils betroffenen Tochter. Der Rest ist Schweigen.
Auch ohne dieses Wissen sind sich die Medien einig: »Eine Bestie ist ins Netz gegangen!« Und sie stellen die berechtigte Frage: »Hat Rupert von Leugendorf neben seinen Morden innerhalb der Musikerkreise auch Frauen getötet, an denen er sich zuvor vergangen hat? Wie viele Morde hat er wirklich zu verantworten?«
Willibald Adrian Metzger kommt nicht umhin, seine Arbeit an der Außenseite des Louis-seize-Kleiderschranks zu unterbrechen und in der neben ihm liegenden Zeitung dem Schwarz-Weiß-Foto Rupert von Leugendorfs einen Bubikopf, pralle Lippen, einen Schönheitsfleck und eine extravagante Brille zu verpassen.
Sicher, mit einer perfekten Maske ist theoretisch alles möglich, genauso wie alles dafürspricht, dass dieses Scheusal der Mörder ist. Nur eines passt nicht zusammen. Antonia Lenz war größer und hagerer. Gut, größer bekommt man eventuell hin, aber hagerer? Wenn man von Haus aus etwas stärker ist, nutzt ein bisschen Verkleidung beim besten Willen nichts, der Metzger kann ein Lied davon singen. Womöglich ist Antonia Lenz aber einfach nur eine Schmarotzerin gewesen an der Tafel des Freiherrn, ein ungeladener Gast im Palais, was dem Willibald im Grunde auch deutlich sympathischer wäre, denn einem Menschen wie Rupert von Leugendorf gehört das Handwerk gelegt, das steht außer Frage.
Nur:
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