Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Herzen ungebremst davonmarschieren zu lassen. Fahrlässiger geht es kaum. Und ja, Fahren, so lautet für ihn nun die weitere Devise.
Von lässig kann allerdings nicht die Rede sein.
»Is alles in Ordnung mit Ihnen?«, dringt es ihm zu seiner Rechten erneut ans Ohr.
Freundlich ist der Blick des sportlich wirkenden ungefähr 60-jährigen Herrn, der dem Metzger da hilfsbereit zulächelt.
Es gibt also auch schnittige Modelle, sozusagen Vierräder für den Paarbetrieb, sprich die Zweisitzer-, Coupélösung. Ebenso freundlich wie das Erscheinungsbild des Mannes ist auch sein Ton: »Gehören die Verrückten da vorne denn zu Ihnen?«
»Nur eine der Damen, darum mach ich mir ja Sorgen! Die anderen kenn ich nämlich nicht«, zeigt der Metzger immer noch kurzatmig seine Verzweiflung, worauf eine Hand vom Lenkrad genommen wird und auf den freien Platz deutet.
»Na, dann rauf mit Ihnen und hinterher mit uns.« Da muss er nicht zweimal nachdenken, der Metzger, und schon wird in die Pedale getreten. Die ersten zehn Umdrehungen allerdings genügen ihm völlig, um festzustellen: Sein Sitznachbar hat eine gänzlich andere Vorstellung von »hinterher«. Zugegeben, die Richtung stimmt, das Tempo allerdings unterscheidet sich nur unwesentlich von dem der Fußgänger. So entspannt der Lenker auch scheinen mag, für eine derartige Meditationsübung fehlen dem Willibald aktuell die Nerven, folglich legt er einen Zahn zu, was nicht unbemerkt bleibt: »Das könnte ins Auge gehen. Wenn wir hier wen rammen, wird das teuer und is’ Schluss mit lustig. In der Ruhe liegt die Kraft! Freut mich, Hans-Peter Weibl«, wird der gemächlichen Fahrweise entsprechend der Plauderton gesucht.
»Da haben Sie natürlich recht. Freut mich auch, Willibald Adrian Metzger.«
»Die Dame gehört also zu Ihnen und ist mit zwei Herren unterwegs? Hängt bei Ihnen somit auch der Haussegen schief?«, will Herr Weibl wissen.
»Auch«, schmunzelt der Restaurator mit Blick auf das güldene Glänzen an Herrn Weibls rechtem Ringfinger. »Da wird mir klar, warum hier wer angehalten hat: Solidarität in Reinkultur! Deshalb der freie Platz. Bevorzugt die Gemahlin also den festen Boden unter den Füßen?«
»Nich unbedingt: Sand, das ist das ihre, und Wasser. Und natürlich Sonne. Ich sag Ihnen, meine Henni könnte jeden Tach in der Sonne liegen, bis sie durch ist vorn und hinten, nicht blutig oder rosa, sondern durch, verstehen Se mich! Ich brauch das ja alles nich! Ein Steak ja, aber der Rest!«
Und nun springt er über, der Funke, denn was bitte gibt es Schöneres als zwei sozusagen auf derselben Frequenz sendende Empfänger. Ein Weilchen geht es durch die Menschenmenge dahin, der Metzger erfährt von den längst außer Haus ihr Unwesen treibenden beiden Weibl-Kindern, den jahrzehntelang an der Adria verbrachten Sommerferien, dem Ansinnen der lieben Henni Weibl, rein aus nostalgischen Gründen immer wieder hierher zurückzukehren, und das, obwohl er, der so emsige Konditor Hans-Peter, seit Menschengedenken nichts anderes will als nach Norwegen oder Finnland oder seinetwegen nur nach Sylt. Norden eben. Jetzt fährt er also, während seine Henni die Einkaufsstraße abschreitet, in der sie sich orientierungstechnisch besser zurechtfindet als in der eigenen Küche, ein wenig in der Gegend herum, ganz in der Erwartung des zwecks Aufgabelns eingehenden Anrufes der werten Angetrauten.
»Die Knie schlottern mir jetz schon, wenn ich an meinen bevorstehenden Sechziger denk«, beendet Herr Weibl seine Schilderung, biegt der Route folgend von der Einkaufsstraße ab und wird nun noch langsamer, denn Willibald Adrian Metzger ist am Wort, was nichts anderes heißt als: Fünfziger-Überraschungsparty, Klapprad-Täuschungsmanöver, Sammelgeschenk-Entführung, Haussegen-Adieu.
»Das is ja schrecklich. Und, und, und …«, stammelt Hans-Peter Weibl in Anbetracht des eben Gehörten.
»Und jetzt such ich sie, meine Holde. Keine Ahnung, wo die hingefahren sind«, wechselt der Restaurator das Thema, und es dauert ein Weilchen, bis sein stimmungstechnisch etwas eingetrübter Sitznachbar von einem offenbar gerade stattfindenden höchst beunruhigenden Gedankenausflug zurückkehrt.
»Na ja, verfolgt haben die nen dunkelhäutigen Kerl. Hat mir nach Vú Cumprá ausgesehen.«
»Wie bitte?«, unterbricht der Metzger.
»Vú Cumprá, ›Du wollen kaufen‹, so nennt man hier umgangssprachlich nen Strandverkäufer, kommt von ›Vuoi comprare?‹, ›Möchten Sie etwas kaufen?‹. Jedenfalls
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