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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Empfang nehmen. Langsam watet Willibald Adrian Metzger, immer den Jungen im Auge, vorwärts, sieht seine Füße im Sand versinken, kleine Krebse das Weite suchen, das Wasser die Kniehöhe überschreiten, winzige Fische seinen Schritten ausweichen und gleichzeitig fast zärtlich an seinen Beinen knabbern, hört den kleinen Rolf vor sich kichern, geht an ihm vorbei, spürt das Wasser in seine Badehose, seinen Nabel eindringen, dann passiert es, und sein Verhalten gleicht genau jenem Muster, das er seit seiner Ankunft bei einer Mehrzahl der Badegäste beobachten durfte: Er bleibt stehen, blickt abwärts, zupft sich an der Badehose und muss lächeln, wissend und amüsiert. Mag sein, dass der eine oder andere Urlauber tatsächlich das Meer erwärmt, er jedenfalls ist nun einzig damit beschäftigt, sich und all die kleinen Knabbermäuler, denen die Unter- und Oberschenkel nicht genug sind, vor Verwechslungen mit diversen Seegurken zu bewahren. Ja, das Meer birgt eben so seine Geheimnisse.
    Dann kommt eines an die Oberfläche.
    Die gerade auf den Spuren der Geschichte wandelnden Damen Eva-Carola Würtmann und Danjela Djurkovic können sich somit jeden weiteren Ausflug sparen. Auch hier am Strand zeigt der Süden Europas, was er zu bieten hat, wofür er weltweit so geschätzt wird: eine Ausgrabung.
    Und Willibald Adrian Metzger ist Zeuge dieses grauenhaften Fundes. Aufmerksam steht er bis zum Nabel im Meer, hebt den Kopf und blickt ans Ufer.
    »Papa, schau, ein Pelzstiefelchen!«, melden in der ersten Schirmreihe die beiden Baumeisterinnen Michaela und Jole ihre Entdeckung. Das geht eben nur beim Errichten einer Sandburg: Hinuntergraben wie ein Geologe und zugleich Auftürmen wie ein Architekt. Da wird der kleine vor dem Metzger stehende Rolf natürlich gleich ein wenig neugierig und verlässt hurtig das Wasser. Auch Willibald Adrian Metzger begibt sich zurück, und zugegeben, schlecht anzusehen ist es nicht, was die beiden väterlich unterstützten Mädchen da mit ihren Kübelchen, ihren kleinen Händen und großen Schaufeln errichtet haben, beinah Versailles’sche Ausmaße sind zu orten.
    »Ela, Jole, weg da, auf eure Plätze!«, erklärt, als würde hier jemand zwei Vierbeinern Kommandos erteilen, die dazugehörige Mutter, während der ebenfalls im Sand kniende Herr Papa verdutzt in die Tiefe starrt.
    Sinnlos natürlich, dieser Befehl, denn was bitte gibt es für den kindlichen Forschungsdrang Interessanteres als das Rätselhafte!
    Folglich dauert es nicht lange, und zu Michaela und Jole hat sich Rolf dazugesellt. Wie ein Rüde vor seinen Weibchen steht er, seine langstielige Schaufel in der Hand, vor der Grube und blickt in die Tiefe. Auch der Metzger inklusive einer kleinen Traube Schaulustiger, darunter einige Kinder, nähern sich vorsichtig zwecks Schloss- beziehungsweise Grubenbesichtigung. Da lässt sich Rolf natürlich nicht zweimal bitten, endlich Zuschauer. Als gehöre er zur Familie, kniet er sich wie selbstverständlich neben den Vater der beiden Mädchen in den Sand, beugt sich vor, streckt den Arm in das Loch, packt zu und befördert den Pelzstiefel an die Oberfläche.
    Ein Raunen geht durch die Zuschauertraube, und auch dem Metzger stockt der Atem. Dass da neben den paar Muscheln, Krebspanzern, hölzernen Eisstielen, abgelutschten Melonen- und Pfirsichkernen sowie unzähligen Zigarettenstummeln noch ein paar weitere Überraschungen im Sand verborgen sind, war ihm von der ersten Sekunde seines Fußsohlenkontaktes an klar. Die Spur der Menschheit ist eine Müllhalde. Ein Säugetier allerdings sprengt selbst seine kühnste Erwartungshaltung:
    Tino ist aufgetaucht.
    Ein toter Hund also. Für den einen, wie gesagt, eine Delikatesse, für den anderen ein schweres Schicksal. Eva-Carola Würtmann, dreimal geschieden und trotzdem nicht stinkreich, ist von nun an nicht nur alleinstehend, sondern allein. Ihr geliebter Tino wurde zuerst einge-, dann ausge- und wird demnächst wohl erneut begraben. Und, das steht einwandfrei fest, die erste der beiden Beisetzungen war keine feierliche, sondern Mord, im schlimmsten Fall wurde Tino sogar lebendig verscharrt.
    »Was machen wir mit ihm?«, will Rolf aufgeregt wissen, keineswegs erschrocken oder voll Grauen ist sein Gesichtsausdruck, ganz im Gegenteil. Vorsichtig tippt Michaela, das ältere der beiden Mädchen, mit ihrer kleinen Schaufel den mit dem Gesicht nach unten liegenden Kadaver an, was bei ihrer Frau Mama einen Schreckensschrei und bei ihrem mittlerweile

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