Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
hübsch bezeichnen und ihnen allein deshalb das Aussterben wünschen. Auf die Artenvielfalt kommt es an.
»Oder Spajetti Bolonjese! Muss doch jewaltig den Jürtel enger schnallen, det janze Land, wat red ick, die janze EU«, ergänzt der andere.
Da bekommen in den Augen des Willibald sowohl die grüne Kühlbox als die beiden Herren natürlich gleich ein völlig anderes Gesicht. Und ja, auch was ihn selbst betrifft, wäre in gewisser Weise ein anderes Gesicht kein Nachteil. Zugegeben, er hat auch die Tage zuvor schon die Leute unter die Lupe genommen, was soll man hier auch anderes tun. Allerdings war dies bis dato ein mit dem Herumlungern verbundener, eher geistloser Akt.
Von nun an aber steht die vorsätzliche Beobachtung im Vordergrund. Tarnung, Maskierung muss also her.
Die Prinzessin von Irgendwo und der Wind
Was tun, wenn es zwecks unbeachteten Glotzens an der dazu hervorragend geeigneten verspiegelten Sonnenbrille mangelt? Ein wenig grübelt er, der Metzger, dann folgt der erlösende Griff zur Badetasche und das Zücken des darin ansonsten auf seine Herzdame wartenden Schriftguts. Allein das Aufschlagen des Inhaltsverzeichnisses reicht völlig, um ihn in Staunen zu versetzen: Diese Lektüre verdeckt nicht nur wunderbar sein Antlitz, sondern erweist sich auch als deckungsgleich mit seiner Absicht. In seinen Händen liegt das Bespitzelungsdokument schlechthin. Aus nichts anderem besteht es als aus im Tarnanzug einer Hochglanzzeitschrift weitergegebenem streng vertraulichem Aktenmaterial. Hier werden der Informationsstand über die Machenschaften in diversen Königs- und Fürstenhäusern oder die Zustände diverser A-bis-Z-Promi-Ehen brandaktuell am Köcheln gehalten. Drei Minuten Studium, und Willibald Adrian Metzger weiß: Etwas Besseres, um den Kopf durchzulüften, gibt es nicht, Tiefenentspannung bis zur letzten Gehirnwindung. Nie wieder ein Vorurteil gegenüber Menschen mit solchen Blättern in der Hand und Abos im Briefkasten, denn um dermaßen auf geistigen Stromsparmodus zu schalten, kann eine Runde Zen nicht mithalten.
Außerdem eignet es sich hervorragend, um den Anschein eines Lesenden zu erwecken, während in Wahrheit über die Oberkante hinweg aufmerksam die Umgebung beobachtet wird. Eingetaucht in die bewusste Welt der im Schatten des Sonnenschirms praktizierten Schnüffelei, bemerkt Willibald Adrian Metzger zuallererst durchaus Beängstigendes: Er ist hier nämlich nicht der einzige Späher, ganz im Gegenteil. Ein Großteil aller Leser missbraucht den Lesestoff zu ähnlichen Zwecken. Ein Königreich für die letzte Reihe, denn anders als in der Schule bleibt man dort erstens wirklich am ehesten unbeobachtet und hat zweitens selbst den besten Einblick. Und was die beiden Herren betrifft, ist die Aussicht hervorragend.
Da ist der Metzger gerade bei der nicht und nicht schwanger werdenden Prinzessin von Irgendwo, wird schräg versetzt vor ihm justament von den beiden Herren ein gerade vorbeigehender Strandhändler um gleich zwei seiner Sonnenbrillen erleichtert und mit auffällig hohem Trinkgeld beglückt; da ist er gerade bei dem frisch geschiedenen 70-jährigen und erneut zum Vater gewordenen Schauspielstar, werden sehr zu Willibalds Überraschung der Kühlbox vom großen Eichner ein Stoß Zettel und vom kleinen Szepansky ein Kulturführer entnommen; da ist er beim entlaufenen Kater Benno einer frisch verjüngten Popqueen, erhebt sich der kleine Szepansky, öffnet die Kühlbox, legt den Kultur- oder Reiseführer hinein, verschließt sie wieder und erklärt dem erneut biertrinkenden großen Eichner: »Justav! Ick verzieh mir ma rüber zu Dolly uff ’n Drink!«
Lange allerdings bleibt auch der Zurückgelassene nicht sitzen, legt die Zettel auf die Kühlbox, stampft die zweite entleerte Dose auf Kleinformat, greift sich in den Schritt, räuspert sich und steuert das Salzwasser an. Bier hat ja auch, so wie das Meer und der Wind, seine treibenden Kräfte. Letzterer meldet sich mit einem recht forsch aufkommenden Lüftchen deutlich zu Wort, was nicht ohne Folgen bleibt. Ungestüm bläst es dem Metzger die Sandkörnchen aufs Titelblatt seiner Illustrierten und neben ihm den losen Stapel Papier in den Himmel.
»Ihre Zettel!«, will er rufen, da steht Herr Eichner mit seligem Blick schon bis zur Hüfte im Meer und Herr Szepansky bereits ein gutes Stück entfernt an der Strandbar.
Herren- und vor allem zügellos flattern die Bögen durch die Luft. Neugierig, wie er geworden ist, lässt sich der
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