Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Wozu, als Dr. Maier eins auswischen zu wollen, ist ein derartig umfassendes Aktenmaterial vonnöten, und was um Himmels willen hat die unter den Maßen des Gemäldes mit Handschrift hinzugefügte Gewichtsangabe für einen Sinn. Steht dem Pferdchen ein Ausritt bevor? Vielleicht bei Nacht und Nebel?
»Ich glaub, mir tut die Sonne nicht gut«, analysiert der Metzger das Ergebnis seiner Vorstellungskraft und wird umgehend auf andere Gedanken gebracht. Lange dauert es nämlich nicht, und eine aus dem Meer zurückgekehrte, entleerte Blase lässt sich in einem Liegestuhl nieder. Ein wenig werden die Augen geschlossen, der Körper in Wind und Sonne getrocknet, dann ruft der Geist nach Beschäftigung, und eine Hand greift Richtung Kühlbox, sprich nach der einzig vorhandenen Lektüre. Mit großer Aufmerksamkeit werden die Zettel begutachtet, kopfschüttelnd mit der Bemerkung »Szepansky, der schlamperte Hund!« wieder in die richtige Reihenfolge gebracht, schließlich wird mit »Na, dem werd ich einschenken!« gepackt und energischen Schrittes das Weite gesucht. Wie ein Katapult schleudert das Hinterteil der davoneilenden Badeschlappen Sand in den Wind, was mit Sicherheit keinem der im Tiefparterre, sprich auf Handtüchern, Luftmatratzen oder Strohmatten, ausgebreiteten Urlauber eine Gaudi bereiten kann. Auf so frisch herabrieselnde Brösel freut sich nach Mehl und Eiern maximal ein Schnitzel, aber garantiert kein eingeölter Menschenleib, geöffneter Augapfel oder aufgeklappter E-Reader. Letzteren, egal ob mit Apferl drauf oder nicht, wie ein abgenudeltes Taschenbuch am Strand liegen zu lassen und baden zu gehen, kann ebenfalls gewaltig ins Auge gehen.
Gesagt wird im Hinblick auf das forsche Auftreten des Herrn Eichner und die eigene körperliche Unversehrtheit trotzdem nichts, denn gut Kirschen essen ist mit dem Kühlboxträger unter Garantie nicht.
So zieht der großgewachsene Gustav unbehelligt von dannen, und lang braucht er nicht, der Metzger, um ebenfalls unterwegs zu sein, ganz dem Motto des Herrn Szepansky folgend: »Ick verzieh mir ma rüber zu Dolly uff ’n Drink!«
Wie gesagt: Sie ist eben eine irdische Höllenqual, die Neugierde.
Pilates und der Apfelbaum
Er fällt ihr schwer, der Dienst nach Vorschrift, zu sehr hat sie das Erlebte noch vor Augen. Ruck, zuck war in Begleitung der Polizei die Hotelmanagerin Margit Becker aufgetaucht. Streng, sogar mit angedrohten Konsequenzen wurde Dolly gebeten, unter allen Umständen Stillschweigen zu bewahren, denn das Thema Mord und Totschlag brauche hier keiner, eine Horrorvorstellung wäre das für die Urlauber, Angestellten, das ganze Hotel. Dann wurde die Leiche von den Polizeibeamten beseitigt, der Sollzustand des Kiddyclub-Zelts wiederhergestellt und schließlich Dollys Bemerkung, anhand der Narbe im Gesicht zu wissen, wer der Tote sei, abgeschmettert. »Den kennst du also auch«, gab Margit Becker abfällig von sich. Ja, Dolly kannte ihn.
Pepe war sein Name, Senegal sein Herkunftsland, der Strandverkauf von Schmuck und Armbändern seine zumindest hier ausgeübte Profession. Es ging das Gerücht um, von Pepe wäre noch mehr zu bekommen, Marihuana, vielleicht sogar Kokain. Gesprochen hat er wenig, gelegentlich, so wie viele seiner Kumpels auch, bei Dolly an der Bar ein Wasser getrunken, ein Sandwich gegessen, und ja, sie waren sich nähergekommen. Seine unaufgeregte Art, sein Hang zur Stille, seine sanftmütige, vertrauensselige Ausstrahlung hatten ihr Ruhe vermittelt, beinah so etwas wie Sicherheit. Als Beziehung allerdings war ihr Verhältnis nicht zu bezeichnen. Es gab keine Regelmäßigkeit, keinen Austausch von privaten Daten oder gar einer Telefonnummer. Pepe war plötzlich da, man vereinbarte mündlich den Ort und die Zeit der Zusammenkunft, man rauchte einen Joint, man liebte sich, man lag beieinander, schwieg.
Reden war seine Sache nicht, Pepe war ein Mann der Tat.
Dann war er weg, von heute auf morgen, genauso übergangslos, wie er immer gekommen war. Bis gestern. Man erzählte sich zwar, er sei gesehen worden, in einem anderen Verkaufsgebiet, aber Dolly war er seither nie mehr begegnet.
An Tragik hätte ihr dieser entsetzliche Vorfall mit Pepe schon gereicht, nur diesbezüglich sieht es schlecht aus mit dem menschlichen Mitspracherecht. In puncto Unglück wird im Vorhinein keine Umfrage gestartet. Es kommt unvermittelt wie ein Wasserrohrbruch und hat oft Auswirkungen wie der Abgang einer Steinlawine. So folgte also gleich der nächste wuchtige
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