Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
er eben für einen Moment ein schlimmer sein, was zugegeben ohne Übung ein Horror ist für den Kreislauf.
Schnell legt er den Stoß eingesammelter Zettel auf die Sonnenliege, schnappt sich mit zittriger Hand den Deckel der Kühlbox, beschwert damit das Maierpapier und findet anfangs nichts Unerwartetes. Bierdosen, eine Sonnencreme, eine Kappe, eine Sonnenbrille, eine Taucherbrille mit Schnorchel, ein kleines Handtuch und ebenden Kulturführer. Nur ein Blick reicht, und der Metzger stellt fest, dieser Kultur- ist der Museumsführer des von Dr. Maier errichteten modernen, würfelartigen Prunkbaus, in dem der zahlungswillige Erdenbürger gegen Eintritt ein Auge auf die von Dr. Maier erstandene Kunst werfen darf.
Ein kurzer Blick zum Meer, ein etwas längerer auf die zwei aus dem Büchlein ragenden Lesezeichen, ein auf der Stirn austretender Schwall an Schweiß, ein bis in die Bermuda Wellen schlagendes Herz, und schon hat er ihn in der Hand, der Metzger.
Zu mächtig pocht die Frage in seinem Schädel: Was bitte steht in diesem Sammelband der Maier’schen Kulturgüter derart Wichtiges drinnen, dass zwei alles andere als kultiviert wirkende Herren Lesezeichen einlegen?
Blitzschnell geht es, das Durchblättern.
Lesezeichen Nummer 1: die Seite mit den Öffnungszeiten, Kartenpreisen und allgemeinen Informationen.
Lesezeichen Nummer 2: das Gemälde eines sich aufbäumenden, blauen Hengstes. Ein expressionistischer Gaul, von der Form zwar Pferd, von der Gestaltung eher wie eines aus dem Nil, fett, rund, großer Hintern, kurze Beine, viel Fleisch, der Traum jedes Leberkäs-Fabrikanten, der Alptraum jedes Realisten. Nein, schön ist er nicht, dafür aber, und das weiß der Metzger allein aufgrund der Angabe des dazugehörigen Malers, garantiert ganz schön teuer. Teuer in einer Dimension, da räumt nicht einmal ein Multimillionär im nüchternen Zustand auf die Schnelle seine Wohnzimmerwand frei, was zumindest rein optisch für das Wohnzimmer garantiert kein Schaden ist. Kunst wird ja auch nicht durch die Augen des Betrachters zu von der Allgemeinheit registrierter Kunst, sondern erst wenn das Börserl irgendeines Betrachters gewaltig was springen lässt. Diesbezüglich ist es für den beglückten, zu Lebzeiten nur dank Fensterkitt und Nasenrammel überlebensfähigen Künstler selbstverständlich von essenzieller Bedeutung, bereits ein Weilchen verreckt zu sein. Kunst und Geld hängen eben zusammen wie das Leben und der Tod. Farbe hat sich der besagte Maler für sein Pferdchen jedenfalls noch leisten können, und zwar reichlich, denn der Gaul ist recht groß geworden, dimensionstechnisch also nix für Neubauwohnungsbesitzer. Neben den Angaben der Dimensions-Ausmaße, und da staunt er nun doch ein wenig, der Metzger, wurde handschriftlich das Gewicht notiert, sowie die Bemerkung: rollbar.
»Verrollen!«, ist dann auch das geistige Stichwort des mittlerweile klitschnassen Restaurators. Da will er sich also nun ohnedies schon höchst erstaunt über seine Entdeckung zufriedengeben und den Kulturführer zurücklegen, legt auch sein Hirn einen Gang zu, und ihm wird schlecht. Es ist kein rosiger Einblick, sondern ein grausiger, einer in mögliche Abgründe, obwohl oder gerade weil es eindeutig der Farbton Rosa ist, der ihm da, zwecks Markierung zwischen die Seiten gelegt, herauslacht.
Nun Seite an Seite mit einem blauen Pferd, musste es vor kurzem noch einsam am Haupte getragen werden. Ja musste, denn mit derartigem Schmuck dekoriert sich kein großjähriges Lebewesen dieser Welt freiwillig. Nun aber ist es auf ewig zusammengefallen, das Palmzöpfchen, Tino in den Hundehimmel, sein rosa-weiß getupftes Schleifchen in den Maier-Kulturführer übersiedelt, und an den Zufall, dass zwei ausgewachsene Mannsbilder genau so ein Banderl als Lesezeichen an die Adria mitschleppen, will er einfach nicht glauben, der Metzger.
Mit flauem Magen stellt er nun hektisch die Ausgangssituation wieder her, Büchlein in die Box, Deckel drauf, Maier-Unterlagen auf den Deckel, sicherheitshalber den Handtuchzipfel zwecks Windschutz drauf und schweißgebadet schleunigst zurück auf den eigenen Platz.
Dort entnimmt er hochkonzentriert der Badetasche seiner Danjela ein Rätselheftchen, den dazugehörigen Kugelschreiber und schreibt all das nieder, was in seinem Hirn über Dr. Konrad Maier so hängengeblieben ist, und Hirn hat er ein hervorragendes, der Willibald.
Fragen über Fragen: Wie kommt Tinos rosa Schleifchen in die grüne Kühlbox?
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