Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Liebste zu und nimmt sie liebevoll, als wären sie heute Morgen in einhelliger Hingebung auseinandergegangen, in Empfang: »Um Gottes willen, was ist mit dir passiert?«
Matt ist ihr Blick, uneigennützig die Antwort:
»Weißt du schon, hat man ausgebuddelt Tino.«
»Ja, das weiß ich, aber was mit dir los ist, weiß ich nicht! Warst du zu lang in der prallen Sonne, hast du zu wenig getrunken, hast du heut überhaupt schon was gegessen!?«
»Redest du nix von Essen, hab ich, glaub ich, erwischt irgendeine alte Hammel.«
Vielleicht war er alt, darf der Metzger kurz darauf feststellen, aber eines war er unter Garantie: nie in einer Kühlbox, geschweige denn Tiefkühltruhe.
Gestützt von ihrem Willibald, schafft es Danjela gerade noch ins Zimmers 102, dann übergibt sie in mehreren Einheiten ihren Mageninhalt dem örtlichen Abwassersystem. Und so ein beleidigter Magen kann dem gesündesten Körper in Sekundenschnelle eine Vorahnung des Sterbens verpassen.
Zusammengekrümmt, zu schwach, um alleine zu trinken, zu schwach, um überhaupt ein Wort herauszubringen, liegt sie mit fahlem Gesicht im Bett, und Willibald Adrian Metzger bekommt es mit der Angst zu tun. Äußerst besorgt plündert er die von Danjela wirklich hervorragend ausgestattete Reiseapotheke und verpasst seiner Patientin gemäß dem Beipackzettel eine erste, möglichst hilfreiche Ladung in der Hoffnung, das forte der Hylak-forte-Tropfen möge sich nicht nur auf die Grauslichkeit des Hylak beziehen. Diese Hoffnung erfüllt sich nicht.
Panisch wirkt sein Auftritt an der Rezeption, was insofern von Vorteil ist, da Hilfe nicht lange auf sich warten lässt. Keine 20 Minuten später wird Danjela von der hervorragend Deutsch sprechenden, hier offenbar recht oft zum Einsatz kommenden Ärztin Dr. Aurelia Cavalli Blut abgenommen und im Gegenzug dafür eine Spritze gegeben: »Ist, glaub ich, gute Tausch«, ringt sich Danjela eine Freundlichkeit ab. Und weil sie gar so ermattet in den Seilen hängt, hängt sie kurz darauf auch noch an einer Infusion.
Für Danjela Djurkovic wird also erstens die nächste Zeit »all inclusive« maximal Suppe, Trockenbrot, Salzgebäck und einen höchst wirkungsvollen Zaubertrunk, bestehend aus Schwarztee, Orangensaft, Zucker und Salz, bedeuten und sich, zweitens, der Gedanke an zu Hause schlagartig mit großer Sehnsucht füllen.
Die Wüste und das Meer
Bald geht es nach Hause.
Wie dieses Zuhause aussehen wird, weiß er zwar noch nicht, in seiner Vorstellung aber existiert es bereits. Und vielleicht wird eines Tages sein Überlebensgrundsatz »Daheim bin ich nur bei mir« endlich mit Raum gefüllt, gleichbleibendem Raum, eigenen vier Wänden in einer sicheren Umgebung. Zu lange schon ist er unterwegs, die Reise ins Nichts muss ein Ende haben, auch um Daryas willen, und so, wie es aussieht, hat es das auch, waren die Mühen, der weite Weg, das Grauen nicht umsonst.
Die lange Fahrt auf einem rostigen Lastwagen, zusammengepfercht mit anderen, die Sklavenroute entlang, von Senegal aus durch die Sahara hinauf an die Nordküste, er hat es überstanden. Er hat erlebt, wie ihnen unterwegs an willkürlichen Kontrollposten ihre Habseligkeiten abgenommen wurden, wie für jene, die nichts mehr zu geben hatten, plötzlich die Reise zu Ende war, gestrandet im Niemandsland. Er hat gesehen, wie Kranke einfach in der Wüste ausgesetzt wurden, wie Menschen an den Strapazen der Reise starben und über die Ladekante geworfen wurden wie Müll, wie viele ihr letztes Hemd gaben, obwohl sie bereits all ihr Erspartes für den Transfer investiert hatten, und trotzdem noch mit dem Leben bezahlen mussten. Der Versuch, der Armut zu entfliehen, ist teuer. Und selbst an diesen Ärmsten der Armen soll noch, wenn sie entblößt und ausgeliefert in die so ersehnte bessere Zukunft unterwegs sind, verdient werden, immerhin haben sie noch ihre Körper. Vertrauen konnte er bald nur mehr sich selbst, seine Geschwister verlor er während der Überfahrt nach Europa. Sie wurden beim Einsteigen in die Boote voneinander getrennt, er blieb alleine, musste mit ansehen, wie am Horizont das vollgepferchte morsche Schiff mit seinem Bruder und seiner Schwester in die Tiefe gezogen wurde. Vor Lampedusa sprang er, wie ihm sein Bruder geraten hatte, über Bord, schwamm, um alleine herausgefischt zu werden, so weit es ging weg vom Boot, fügte sich, um sofort in einer Krankenabteilung zu landen, kurz bevor das Polizeiboot ihn aufgriff, eine tiefe Schnittwunde zu, wurde danach
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