Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
hellhäutige Erwachsene sitzen, ist Noahs und Daryas Vater entweder nicht anwesend oder, was ja theoretisch möglich wäre, Noah der Vater der kleinen, in seinen Armen liegenden Darya.
Jedenfalls kommunizieren die beiden Herren und die Dame deutsch miteinander, da versteht der Metzger beinah alles. Die Sprache, in der sich die drei mit dem Jungen unterhalten, allerdings ist ein holpriges Englisch, untersetzt mit reichlich vokabelschwächebedingten Fetzen Deutsch. Der Fetzen in Englisch wäre, egal in welcher Schulstufe, jedem der drei sicher. Englisch ist eben nicht gleich Englisch, und für das mit dem dialektgefärbten Mundwerk der beiden Herren ausgesprochene Englisch braucht zwecks Verstehens selbst ein gebürtiger Engländer eine dermaßen hohe Konzentration, als wäre er zu Gast im EU-Parlament. Genau das wundert den Metzger ein wenig, denn so stockend, wie sich Angela Sahlbruckner mit dem Jungen unterhält, deutet das nicht unbedingt auf ein Verhältnis Mutter–Kind hin.
Bei dem Baby, zugegeben einem richtig pausbackigen Brocken, liegen die Dinge allerdings eindeutig.
Heftig beginnt es zu brüllen, das Eis wandert aus Angelas Hand zu Gustav Eichner, der Säugling von Noah zu Angela und schließlich, ganz den Hotelgewohnheiten entsprechend, weiter ans Buffet der All-inclusive-Verpflegung. In transparenter Verborgenheit lüftet die wunderbar anzusehende Frau unter dem Seidentuch eine Seite ihres Bikinioberteils und bereitet offenbar nicht nur dem Säugling eine Freude. Es steht natürlich außer Frage, dass sich in Zeiten eines kaum noch gepflegten Oben-ohne-Kults nun schon deutlich mehr Blicke über diverse Bücheroberkanten hinaus verirren als zuvor, und, ja, auffällig viele Damen betrachten das zur Schau Gestellte, und zwar ohne Hemmung. Was kein Wunder ist, denn die danebensitzenden Männer trauen sich aus lauter Sorge vor einem sich möglicherweise ergebenden schiefhängenden Haussegen ja nicht glotzen, wie es ihre Lenden gelüstet. Da werden den Augäpfeln schier zirkusreife Kunststücke abverlangt. Geradeaus schauen und nach links spähen, ja sagen und nein meinen, vorne sein und hinten bleiben, das können eben bevorzugt die Herren der Schöpfung. Am deutlichsten aller Anwesenden ist dem Jungen eine peinliche Berührtheit und zugleich unsägliche Neugierde anzusehen, was in den Augen des Willibald Adrian Metzger gleich der nächste Beweis dafür ist: Hier können sich unmöglich Mutter und Sohn gegenübersitzen.
Frau Würtmann hingegen ist gar nichts peinlich:
»Ein schöner Anblick ist das, wenn ein Baby an so einem prächtigen Busen liegt, oder, Dolly«, zeigt sie sich völlig blind für die leicht glasigen Augen ihrer Tochter. »Da kann man sich so freuen, wenn so ein kleines Ding so glücklich ist und so …«
»Soso!«, fällt ihr Dolly ins Wort, die Hände zu Fäusten geballt.
Mit etwas traurigem Tonfall setzt Frau Würtmann unbeirrt fort: »Und es ist einfach ein Segen, wenn es jemand gibt, den man liebhaben kann. Es geht ja einfach überall so rücksichtslos und gewalttätig zu heutzutage!«
»Genau, rücksichtslos«, klagt Dolly.
»Ach, Tino«, klagt Frau Würtmann zurück und blickt zum Himmel empor: »Und wenn ich herausfind, welches Schwein dich auf dem Gewissen hat, gibt es einen Verletzten mehr.«
»Es jeht eben einfach überall so jewalttätig zu heutzutaje«, kann sich Rudi Szepansky nun nicht verkneifen, was Frau Würtmann lautstark nach Luft schnappen lässt:
»Tino war mein Ein und Al…«
»Bitte, Mama«, erhebt Dolly nun kraftvoll ihre Stimme, und auch Gustav Eichner greift ein: »Keine Sorge, Frau Würtmann, der Scheißkerl wird sich finden!«
»Das schreit nach Selbstanzeige«, geht es dem Metzger durch den Kopf, denn hier sitzt, so vermutet er zumindest, in völliger Unwissenheit ein Drama-Dreieck, sprich Opfer, Täter und Retter, friedlich beisammen. Wobei das mit dem Frieden nicht so bleiben soll.
Noah hebt den Kopf, blickt in Richtung Brandung und steht auf. Ein Strandverkäufer mit mehrfach auf dem Kopf geschichteten Hüten marschiert das Ufer entlang, und dann marschiert auch Noah, schnurstracks auf den Burschen zu. Ja, Burschen, in puncto Alter ist zwischen den beiden nämlich wohl kein großer Unterschied. Auch optisch könnten die zwei theoretisch dasselbe Herkunftsland in ihrem Pass stehen haben, sprachlich aber herrscht blinde Übereinstimmung, zumindest körpersprachlich. Eine derartige Begrüßung verpasst man sich gegenseitig nicht einfach so mir
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