Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Beginn einer neuen Lebensphase: »Wisst ihr, was er da Romantisches gesagt hat?«, schildert Dolly: »Dass die Welt besser wird durch Menschen wie mich, dass die Augen die Spiegel der Seele sind und er sieht, dass ich ein gutes Herz hab!«
»Dass die Augen was sind?«, traut der Metzger seinen Ohren nicht.
»Die Spiegel der Seele!«, flüstert Dolly verliebt. Beim Metzger aber kann von Blauäugigkeit keine Rede sein.
»Das kommt mir ehrlich gesagt schon seltsam vor, wenn dir fast zeitgleich im Kiddyclub-Zelt ein toter Mann ohne Augen in die Arme fällt. Komisch ist das, so wie alles andere«, sinniert der Metzger vor sich hin und erhält nun unerwünschte Aufmerksamkeit:
»Was heißt: Komisch wie alles andere? Stellst du Fragen ganze Zeit wie bei Verhör? Sag, was hast du gemacht in Urlaub? Bist du nicht hauptsächlich gelegen in Liegestuhl?«, kommt es Danjela nun zum Glück mit einem ausgedehnten Gähnen über die Lippen.
»Glaub mir, Liegestuhl reicht, da sieht man genug. Dolly, ich will mich ja nicht einmischen, aber du solltest trotz all der großen Gefühle für Rudi Szepansky vorsichtig sein.«
»Wir vorsichtig?«, geben müde Augen eine völlige Gleichgültigkeit diesem Vorschlag gegenüber zu erkennen.
»Ihr habt recht …«, wechselt der Metzger das Thema, »… es ist vier Uhr, ich würd sagen, wir versuchen ein wenig zu schlafen«, und findet mit seinem Vorschlag Gefallen.
Wie in Grandhotels gibt es auch im Liegewagen einen Weckruf, vorausgesetzt, man schlummert bis zur Endstation und natürlich völlig unabhängig davon, ob man mit Erreichen des Endbahnhofs den eigentlichen Zielbahnhof verschlafen hat.
Beendet so ein Zug also seine Fahrt, gönnt sich der Schaffner noch einen abschließenden Rundgang und sorgt für Räumung der Waggons, was sich je nach Typus verschieden anhört. Von: »Einen wunderschönen guten Morgen!« bis »Wollen S’ hier einziehen?« ist alles möglich. Letzteres wird mit forscher Stimme an Danjela, Dolly und den Metzger adressiert, was insofern begründbar ist, da die drei einige Zeit zuvor schon ein wohlwollendes »Guten Morgen!« zwar zu hören bekommen, aber nicht gehört haben.
»Fühl ich mich wie nach Weinverkostung!«, stemmt sich Danjela ins Sitzen hoch, da hängen ihr bereits von der oberen Etage die Füße ihres Willibald ins Gesicht. Viel Schlaf finden konnte er nicht, der Metzger. Stattdessen hat er mit sich gerungen, ob er einem jungen Herzen die Illusion rauben und Dolly seine berechtigten Gründe zur Sorge mitteilen soll.
Schließlich war er, ohne eine Entscheidung zu treffen, eingenickt.
Auch Dolly hat sich mittlerweile aufgerafft, lächelt nichtsahnend in die Runde, und dann wählt er, während Dolly ihr Mobiltelefon einschaltet, die verantwortungsvolle Variante: »Guten Morgen, Dolly«, ein Weilchen wartet er, auf dem gerade aktivierten Handy sind mehrere auf das Eingehen diverser Nachrichten hinweisende Signaltöne zu hören, dann beginnt er: »Was ich nach unserem Gespräch vorhin noch sagen wollte. Bitte sei wirklich vorsichtig. Du kennst Rudi kaum, und wirklich beruhigend sind die Dinge nicht, die da letzte Woche alle passiert sind, Tino, Pepe, und irgendwie werd ich das Gefühl nicht los, dein Rudi ist darin verwickelt. Tinos Schleife war in Eichners Kühlbox, Tino ist im Kiddyclub verschwunden und Pepe dort aufgetaucht. Überleg doch. Ich hab kurzfristig sogar eine Bekannte bei der Polizei kontaktiert, so besorgt hat mich das alles.«
»Du hast Irene Moritz angerufen?«, ist nun Danjela auf Anhieb todernst und putzmunter. »Und da sagst du mir nix.«
Auch Dolly lächelt nicht mehr, erhebt sich, mit einem Schlag leichenblass, und diesmal ist es keine Unterzuckerung, sondern Überreizung. Entsetzen und Zorn stehen ihr im Gesicht, das Display ihres Handys vor Augen ringt sie mit jedem ihrer Worte: »Ihr, ihr, ihr habt nach alldem, was ich euch erzählt hab, meine Mutter informiert! Ihr, ihr …«, und es ist keine Frage.
Mit glasig gewordenen Augen blickt sie Danjela und Willibald voll Verachtung an, nimmt schließlich ihr Gepäck und verlässt schweigend, ohne sich für eine Erklärung zu interessieren, das Abteil.
»Aber, Dolly«, bricht es nun aus Danjela heraus, und ein Schwall an Erklärungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen hallt durch den Nachtexpress. Nur, da ist kein Wenden des Kopfes, kein Drosseln des Tempos zu erkennen, Dolores Poppe eilt den Gang vor zur Tür – Danjela hinterher. »Dolly, bitte, geb ich zu, war gut
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