Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
nicht aus dem Auge lassen: das mitten auf der Werkbank liegende Kuvert. Es wurde also zusätzlich zur Botschaft der Zerstörung eine Nachricht hinterlassen.
Mit dem Brief in der Hand müht er sich bis in den hintern Bereich des Gewölbekellers zu seiner Chaiselongue, nimmt darauf Platz, betrachtet das Kuvert, betrachtet die darauf wie Kunstwerke erscheinenden, fantastisch gleichmäßigen, wunderschönen Blockbuchstaben: »Für Herrn Metzger«, betrachtet die Trümmer seiner Arbeit, öffnet und entfaltet die darin enthaltenen, fein säuberlich Ecke an Ecke zusammengelegten Bögen Papier. Es sind vier an der Zahl.
Allesamt Farbausdrucke. Und bereits am ersten Zettel hört es sich schlagartig auf mit der Schönheit: Zwei Menschen sind zu sehen, die sich im Tretboot abstrampeln.
Zettel Nummer zwei präsentiert ebenfalls einen Farbausdruck, dieselben zwei Menschen, die klitschnass im Regen auf einem Marktplatz etwas behäbig Walzer tanzen.
Und auch auf dem dritten Blatt sieht sich der Restaurator selbst, allerdings nicht mit Danjela Djurkovic im Arm, sondern mit Frau Annette Hüberle im Gespräch. Sie in der Tür des vermeintlichen Weibl-Campingbusses, er mit dem Rücken zum Auge des Betrachters, also zur Kamera.
Das letzte Bild zeigt ein von Willibald selbst mit seiner Kamera aus dem Sanitärbereich des Campingplatzes heraus aufgenommenes Foto. Das scharfe Zelt, sprich die Hivela-Behausung, ein gigantisches, unscharfes, sich links ins Bild drängendes Ohr, sprich der Weibl-Lappen, darunter in Blockbuchstaben:
»Schauen Sie in Zukunft mehr auf sich. Herzlich, Hans-Peter«. Das erklärt zumindest das Verschwinden der Kamera, mehr aber schon nicht.
Jetzt könnte er weinen, der Metzger, still und ohne Ende. Zumindest die stillen Tränen gönnt er sich.
Hier ist gezielt etwas im Gange, zumindest das weiß er, und es findet eine Bedrohung von ungeheurem Ausmaß statt. Eine Bedrohung, die vielleicht keinen Halt macht vor noch größerer Gewalt, die weder einschätzbar noch abzuwehren ist. Denn um sie abwehren, um sich entsprechend verhalten zu können, bräuchte er Antworten auf die Fragen:
Wodurch hat er sich schuldig gemacht, welche seiner Handlungen rechtfertigt eine derartige Zerstörung?
Er weiß nicht, was er nicht hätte beobachten sollen, folglich hat er auch keinen Schimmer, was er in Zukunft sehen darf und was nicht, ob seine Bedrohung ganz ohne sein Zutun also nicht noch weiter wächst. Ausführlich überlegt er hin und her, der Metzger, auch voll Sorge um seine Privatsphäre, um Danjela, dann beschließt er, nur einen Weg gehen zu können: Er muss seine Geschichte erzählen und sich Rat holen.
Keine 30 Minuten später betreten Danjela Djurkovic, Irene Moritz und Felix die Werkstatt. Wobei der kleine Felix die Werkstatt nicht betritt, sondern eng mit einem Tragetuch an den mütterlichen Körper geschnallt hereinschwebt, gefüttert, gewickelt, genüsslich schlummernd. Für alle anderen kann von Genuss keine Rede sein.
Danjela bricht augenblicklich in Tränen aus, stürmt zu ihrem Willibald auf die Chaiselongue, betrachtet die Zettel und drückt ihn an sich, als gäbe es einen nahen Angehörigen zu betrauern.
Fassungslos über das Ausmaß der Zerstörung, dreht Irene Moritz, die Hände schützend um ihr Kind geschlungen, eine Runde durch den Gewölbekeller. Allein ihre Anwesenheit hier hat im Hause Moritz eine heftige Grundsatzdiskussion ausgelöst, denn der werte, gerade im Einsatz befindliche Gemahl Gerhard Kogler vertrat überraschend vehement die Auffassung, die mit einer Karenz einhergehende dienstliche Zurückhaltung habe Vorrang vor jeder Freundschaft, was aus weiblicher Sicht zu einer abrupten Beendigung des Telefonats und einer unmittelbaren Aktivierung des Tragetuchs führte.
»Also erzähl«, lautet nun die Anweisung. »Warum hast du von mir die Daten zu Gustav Eichner, Rudi Szepansky und Richard Hivela wollen? Und wie erklärst du dir das alles hier? Einbruch ist es keiner, das steht fest. Eher ein massiver Einschüchterungsversuch.«
Dann beginnt er zu erzählen, der Metzger, und er lässt nichts aus, redet und redet, während Danjelas Augen immer größer und Irenes Stirn immer faltiger wird.
Beim Thema Pepe bricht es schließlich aus Irene Moritz heraus: »Leere Augenhöhlen, sagst du. Wir haben grad einen ähnlichen Fall. Draußen am Baggersee wurde ein Mann namens Heinrich Albrecht gefunden, ohne Augen, dafür mit Mozartkugeln. Ein zwar freier Mann, der allerdings vor seiner
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