Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
findet in derselben Region ins Ziel, wieder verbunden mit einem Schuss und dem vergnügten Beweis des Bis-drei-zählen-Könnens: »Zwei.«
Der dritte Stein allerdings findet auf Anhieb unmittelbar hinter Gustav Eichner sein Ziel auf Angelas Autodach, was einen Moment der Unachtsamkeit, verbunden mit einem zu erwartenden Ausfallschritt, einem ruckartigen Wegbewegen von Angela und einem Blick seitwärts zur Folge hat. »Drei!«, flüstert Petar Wollnar. Dann löst sich ein Donnern.
Löwen und Lämmer
Er hat zwar keine eigenen Kinder, der Metzger, aber seit in seinem unmittelbaren Umfeld das Leben nur so sprießt, erkennt er ihn anhand der kleinen Halbwaisen Lilli und ihrer Mutter Trixi Matuschek-Pospischill oder an Felix und Irene Moritz auch ganz ohne eigene Elternschaft, diesen großen mit dem Begriff Liebe verbreiteten Irrtum und zugleich einen der großen Preise des Menschseins. Nichts anderes als Schwachsinn, als Plattitüde ist das schöngeistige Versprühen der Weisheit: Wahre Liebe kann loslassen.
Loslassen kann vielleicht eine fürsorgliche Löwenmama – über den Löwenpapa braucht man ja diesbezüglich kein Wort zu verlieren –, wenn sie ihren aktuellen Wurf aus dem Maul auf die Erde plumpsen lässt, auf dass er sich eines Tages dem eigenen Jagdtrieb gehorchend in die Steppe schmeißt, oder wenn sie zum letzten Mal über die Schulter blickt und sieht, dass es gut ist, dass die groß gewordenen Kleinen es nun endgültig überrissen haben mit dem Gazelle- oder Zebrareißen. Nur so eine Löwenmama, wie fürsorglich sie auch sein mag, wird keine Ecken und Kanten verkleben, Laden zuschrauben, Tischdecken antackern, Steckdosen abdecken, Sicherheitstüren einbauen und niemals so lange im Türrahmen warten, bis die Brut, wenn schon nicht bis zur vereinbarten 22-Uhr-Grenze, dann wenigstens möglichst noch vor Mitternacht den Samstagabend zu Ende bringt.
Ein liebender Menschen aber, und das eben ist einer der Preise des Menschseins, kann, sobald er Junge in die Welt gesetzt hat und es ihm auch geschenkt ist, diese großziehen zu dürfen, seine Hoffnung in Hinblick auf die eines Tages losgewordenen Sorgen und Ängste um die Kinder an den Nagel hängen, auch dann, wenn die Kinder selbst längst Mütter und Väter geworden sind. Er wird sich möglicherweise eines Tages mit diesen Sorgen oder Ängsten arrangieren, es schaffen, beim Wandern, Yoga, Patchworken nicht ausschließlich über die Kinder zu reden, aber das mit dem Loslassen wird nix werden, da kann man die dicksten Ratgeber und schöngeistigsten Sammelwerke inhalieren bis zur geistigen Komplettverneblung, es ist sinnlos.
Und so wie sich Angela Sahlbruckner mit aller Macht zum Schutz vor ihre Emma werfen, alles für das Wohl der Kleinen riskieren würde, tut dies auch, weil eben kein Löwen-, sondern ein Menschenpapa, der Sahlbruckner senior, und er macht es hervorragend.
Immerhin ist so ein Süßwassersee mit einem dermaßen umfassenden Schilfgürtel ein wahres Paradies für Wasservögel diversester Art. Und weil so ein gut ausgelöster und eingesalzener Wasservogel nach zwei Stunden im Kugelgriller ein Gedicht für jeden nichtveganen Gaumen darstellt, ist der alte Sahlbruckner eine Wucht auf seiner Vogelpfeife und seiner Selbstladeflinte.
Nur einen kleinen Schritt musste Gustav Eichner zur Seite treten, um sich in weiterer Folge von hinten eine dermaßen nachhaltige Ladung Schrot einzufangen, da fällt ihm die kurz darauf von vorne abgefeuerte Kugel gar nicht mehr auf.
»Sie rühren sich nicht vom Fleck!«, richtet der alte Sahlbruckner nun seine abermals geladene Waffe in Richtung des in einer Pfütze hinter dem schlappen Planschbecken knienden Schulze und brüllt: »Und ihr da hinten kommts raus aus meinem Weingut, sonst krachts gleich das nächste Mal! Und alle schön in einer Reihe.«
So nehmen Willibald Adrian Metzger, Petar Wollnar und Heinzjürgen Schulze nun neben dem schmerzverzerrt am Boden liegenden Gustav Eichner Aufstellung. Blutrot und vertikutiert ist sein Rücken.
»Und jetzt wird geredet, und zwar von jedem hier, und da mein ich auch dich«, deutet er auf seine Tochter. »Was is da los?«
»Papa, es geht nicht!«, beginnt Angela zu weinen, »Emmas Leben hängt davon …«
»Gut. Dann bring ich zuerst die Herren unter, und wir reden danach. Aber reden werden wir, das versprech ich dir.
Und ihr drei marschierts jetzt, den da nehmts mit«, erklärt der alte Sahlbruckner, deutet zuerst auf Gustav Eichner, dann nicht auf das
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