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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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den Kopf gestellten Welt noch gefehlt. Eine Psychoverbindung zwischen der Lebensenergie seiner Danjela und der Straffheit der Blätter ihrer Pflanzen.
    Psychoterror der Kategorie: zur Geburt eines Kindes ein kleines Pflänzchen schenken oder einen Lebensbaum einpflanzen. Wehe da geht was ein!
    Das Essen ist also bald beendet, zwar immer noch mit freundlichem Grundton, nur begleitet von einer beträchtlichen Gehetztheit im Metzger-Gemüt.
    Nach eiligem Fußmarsch öffnet er die Tür zur Schulwartwohnung, aus der ihm gleich ein Geruch entgegenschlägt, als wäre er in Kuba zwischengelandet – Luftfeuchtigkeit 82 Prozent. Natürlich legen da einige grünwüchsige Kollegen eine Haltung an den Tag, dagegen wirkt ein buckliger 15-Jähriger mit schulterlangem Haar und diesem schlurfenden, durch lebensbedrohlich unter den Arschbacken sitzenden Schlabberhosen verursachten Gang wie ein Gardesoldat.
    Sofort reißt der Willibald alle Fenster auf, Edgar stürmt wie gewohnt gierig zum Hundenapf, um dort mit unerfreutem Gehabe und hochnäsiger Ignoranz dasselbe zu bekommen wie die Pflanzen. Wasser. Keinen Tropfen trinkt er, der Hund, ganz im Gegensatz zu dem laschen Grün, dem sich der Metzger nun ausführlich widmet. Und das dauert. Der Metzger besprüht selbstverständlich diverse Blätter, spricht mit einigen ausgewählten Kandidaten, lockert ein wenig die Erde, gießt ausgiebig, was dank der kleinen Gießkanne zu einer unerfreulichen Bewegungseinheit ausartet, setzt sich danach erschöpft in die Küche und kämpft mit der Versuchung.
    Da liegt er wieder, der rote Djurkovic-Timer! Neugierig wäre er ja schon, der Willibald.
    Ein wenig herumblättern, herumkramen in dieser geballten Ladung Privatsphäre, darf man das, geht es ihm durch den Kopf, und weil das Interesse größer ist als die Moral, hat er auch augenblicklich vor dem eigenen Gewissen die geeignete gewichtige Ausrede parat. Immerhin ist ja jetzt er als Angehöriger Danjelas Vertreter in allen öffentlichen Belangen, und da wäre es schon hilfreich zu wissen, ob in ihrem Namen auch etwas Wichtiges zu erledigen wäre.
    Dem ist nicht so, wie die nächsten Seiten belegen. Denn außer einigen schulischen, organisatorischen Angelegenheiten oder gelegentlichen Vymetal-Erwähnungen sind in diesem Kalender weitaus mehr Eintragungen zum Thema Willibald Adrian Metzger zu finden als zur Kalenderbesitzerin Danjela Djurkovic selbst. Jedes vergangene Treffen wurde genau dokumentiert, sogar der erste Kuss an jenem bitterkalten Februarabend nach gemeinsamem Konzertbesuch erhält hier durch seine mit rotem Herzen umrandete Notiz samt eingeklebter Konzertkarte ein bleibendes gegenständliches Dokument, genauso wie all die ungeplanten Spontanzusammenkünfte während der Arbeitstage und all die geplanten Wochenendausflüge, gespickt mit diversen quer über die Samstag-Sonntag-Spalte geschriebenen Erinnerungen. Und mitten drinnen Dokumente herzzerreißender Aufmerksamkeiten: Lieblingsmahlzeiten, die der Metzger offenbar so beiläufig erwähnt und in späterer Folge auch bei einer der vielfachen Essenseinladungen serviert bekommen hat, Eintragungen wie:
    -  Willibald viel arbeiten, bringen Tee mit Rum in Werkstatt
    -  Krapfen backen, Abend in Werkstatt bringen
    -  Willibald holen Möbelstück, helfen ausladen bei Werkstatt
    -  Willibald Stress, nix anrufen bis Mittwoch
    -  Willibald übernachtet, vorher putzen
    -  Edgar zu Zusanne, Ausflug mit Willibald
    Jede Eintragung mit einem ausgeschriebenen Willibald, ohne Abkürzung, jeder Buchstabe war es der Djurkovic immer wieder wert, notiert zu werden. Eine Litanei an stillen Liebesbekundungen tut sich hier vorm Metzger auf, und gleichzeitig blickt er in das Spiegelbild des eigenen Versagens, der eigenen Kälte, trotz seiner so stillen Hingebung.
    Er hat keinen solchen Kalender, er hat keine Konzertkarte aufgehoben, und irgendwie hat er jetzt auch keine Danjela mehr. Dafür hat sich Willibald Adrian Metzger, was die Statur betrifft, mittlerweile der völligen Solidarität zu den Pflanzen hingegeben und würde sich mit Tränen seiner Traurigkeit und Scham selbst zu gießen beginnen, hätte er nicht gedankenverloren einen ganzen Packen an Seiten weitergeblättert zum Registerblatt Notizen.
    Hier ist vom Metzger keine Rede, hier geht es ans Eingemachte: Rezepte, Finanzen, Besorgungen, Erinnerungen, sachliche Informationen und eben auch Notizen.
    Und wäre da nicht ein mehrfach nachgezogenes groß geschriebenes OWUSO, der Willibald

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