Der Meuchelmord
gleichzeitig von der Hälfte aller Polizisten New Yorks bewacht.
Keller war nicht einmal enttäuscht. Gegen solche Regungen war er gefeit. Das Geld spielte keine Rolle für ihn. Was ihn beherrschte, war eine fast schon krankhafte Sehnsucht nach Elizabeth. Sie beherrschte all sein Fühlen und Denken. Er ging wieder ein Stück zurück und dann durch die nächste Querstraße hinüber zur Madison Avenue. Er mußte an der Bordsteinkante endlos lange warten, bis er ein Taxi bekam.
»Zum Flughafen«, rief er.
»Zu welchem Flughafen?« fragte der Fahrer. »Was zum Teufel ist denn da hinten los? Das sieht ja nach einem Großfeuer aus.«
»Zum Kennedy-Flughafen«, antwortete Keller. Er sah sein Gesicht im Rückspiegel. Es wirkte grau und ausdruckslos. »Es scheint einen Unfall gegeben zu haben. Beeilen Sie sich, ich muß meine Maschine noch bekommen.«
Aber er war jetzt schon zu spät dran. Vielleicht war ihr das Warten zuviel geworden, und sie war längst fort. Vielleicht hatte sie es sich auch anders überlegt und war gar nicht erst gekommen. Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Diese Müdigkeit war die einzige Reaktion seiner Nerven auf die fast überstandene Gefahr. Jetzt standen seine Chancen gar nicht übel. Er war aus der Kathedrale herausgekommen. Nachdem er dieses kleine Wunder vollbracht hatte, würde ihm sicher Elizabeth am Schalter der Eastern Airlines erwarten. Und daß er das Geld nicht mitnehmen konnte, störte ihn wenig. Es war ihm gleichgültig geworden, nachdem er von ihr erfahren hatte, was Souha zugestoßen war, und er sich entschlossen hatte, diesmal auf eigene Rechnung zu schießen. Das Geld war gleichgültig. Es kam nur noch darauf an, Elizabeth zu finden und mit ihr zu fliehen.
Sie trugen Patrick Jameson hinter die marmorne Kommunionbank vor dem Hochaltar und legten ihn auf den Boden. Unter den vornehmen Iren der Gemeinde befanden sich mehrere Ärzte. Zwei von ihnen hatten bereits John Jackson untersucht und ihn für tot erklärt. Der Attentäter war hinter den Hochaltar gezerrt worden, wo er sich trotz seiner Handschellen laut schreiend gegen die Polizisten wehrte. Sein Gebrüll war bis ins Kirchenschiff zu vernehmen, und es hörte erst auf, als ihn ein älterer Kriminalbeamter mit einem wohlgezielten Faustschlag zum Schweigen brachte. Ein dritter Arzt kümmerte sich um Jameson. Der hatte nur für einen Sekundenbruchteil den rasenden Schmerz in der Brust gefühlt und war dann in Ohnmacht gesunken. Neben ihm kniete Martino Regazzi, und sein scharlachroter Ornat war vom Blut des alten Priesters befleckt.
»Er liegt im Sterben, Eminenz«, sagte der Arzt. Eine oberflächliche Untersuchung hatte schon ergeben, daß die Schußwunde unbedingt tödlich war. Der flatternde Puls und die schwache Atmung würden bald aussetzen. Es war ein Wunder, daß das Herz überhaupt noch minutenlang weiterschlug.
»Er müßte die Sterbesakramente erhalten, es ist nicht mehr viel Zeit.«
Der Kardinal gab dem Arzt keine Antwort. Er betete für seinen Sekretär nicht, wie er es für Jackson, seinen verhaßten Gegner, getan hatte. Er lag nur auf den Knien und sah zu, wie unter seinen Händen das Leben zerrann. Dann beugte er vor aller Augen das Haupt und weinte. In seinem Todeskampf erhielt Patrick Jameson, der Arbeitersohn aus der Grafschaft Kerry, die letzten Tröstungen seiner geliebten Kirche aus der Hand seines Kardinals, den er zwar auch geliebt, aber nie ganz verstanden hatte. Er erlangte das Bewußtsein nicht wieder, aber bei der Letzten Ölung glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Dieses Lächeln begleitete ihn noch bis in den Tod hinüber.
Der New Yorker Polizeichef gab Befehl, die Kathedrale zu räumen und draußen die Menschenmenge vom Ausgang der Sakristei fernzuhalten. Von dort aus sollte Smith mit möglichst wenig Aufsehen weggeschafft und in die Polizeizentrale gebracht werden.
Als die meisten Menschen gegangen waren, sah er, wie Smith von mehreren Polizeibeamten zum Hinterausgang geleitet wurde. Er wehrte sich immer noch, bäumte sich auf und brüllte, verrückt wie ein tollwütiger Hund. Gott sei Dank, fügte der Polizeichef insgeheim hinzu. Gott sei Dank, daß es sich um einen Irren handelte und nicht um ein politisches Verbrechen, ein politisches Verbrechen gegen Bezahlung. Überall auf der Welt kann ein Polizeibeamter einmal durchdrehen.
Ein junger Kollege trat auf ihn zu, aber er schob ihn ärgerlich beiseite. Der Mann wollte sich darüber beklagen, daß ihn jemand aus der Menge
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