Der Meuchelmord
Gesicht. Eine solche Kraft hätte man diesem schmächtigen Mann kaum zugetraut. Kings Kopf flog zurück, und seine Lippe platzte auf. Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich damit über den Mund.
»Wenn Sie das vorhaben, mache ich lieber eine Aussage«, sagte er.
Für ihn war nun alles vorbei. Er hatte keine Aussicht, gegen diese Leute standhalten zu können. Aber er hatte seinen Befehl ausgeführt. Möglich, daß er nun für mehrere Jahre seine Wohnung in Moskau nicht zu sehen bekam und an seinem teuren französischen Schreibsekretär keinen Brief schreiben konnte, aber das hatte Zeit. Seine Leute würden ihn hier schon herausholen. Er brauchte nur zuzugeben, daß er unter dem Deckmantel der Zeitschrift hier einen Spionagering betrieben und sich auch Huntley Camerons Mordplan angehört hatte. Die Schlüsselfigur war Elizabeth Cameron. Huntley konnte ihn nur auf Kosten seiner eigenen Sicherheit belasten. Elizabeth war als einzige in der Lage, als Zeugin gegen beide aufzutreten. Sie stand bereits auf der Abschußliste. Falls sie nicht bereits tot war, würde sie bestimmt nicht lange genug leben, um vor einem Gericht aussagen zu können.
»Ich bin zur Aussage bereit«, wiederholte er. Sein Taschentuch war blutig. Leary sah ihn an und rieb sich über die Faust.
»Okay«, sagte Leary, »wir nehmen das Protokoll auf.«
King wurden keine Fragen gestellt. Leary befahl, ihn nicht zu unterbrechen. Er redete eine ganze Weile und gab seine Spionagetätigkeit als sowjetischer Agent zu. Er nannte sogar seinen richtigen Namen: Alexander Durin, Major der Roten Armee. Er stellte drei kleine Agenten bloß, zwei in Westdeutschland und einen in Frankreich. Darüber hinaus hatte er nichts zu sagen.
Er rechnete damit, daß sein Protokoll abgetippt und ihm zur Unterschrift vorgelegt würde, aber nichts geschah. Leary blieb sitzen, trank Kaffee und klopfte mit einem Bleistift auf den Tisch, bis es King auf die Nerven ging.
»Ich hab' Ihnen alles erzählt«, sagte er, »ich werde meine Aussage unterschreiben.«
Learys müde Augen betrachteten ihn voll Abscheu. »Deswegen werde ich nicht Anklage erheben. Mir ist das scheißegal, ob Sie ein KGB-Mann oder Eddi King aus Minnesota sind. Sie werden nicht wegen Spionage ins Kittchen wandern, Mr. King. Was Ihre Arbeit als Agent betrifft, kümmert sie uns überhaupt nicht. Ich werde Sie der Polizei überstellen, und zwar wegen der Ermordung einer gewissen Dallas Jay.« Er stand auf und ging zur Tür. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um und fügte hinzu: »Dafür kriegen Sie lebenslänglich.«
Zwei Männer näherten sich King. Er stand auf, ohne daß sie ihn zu berühren brauchten. Das Schlucken bereitete ihm einige Mühe. Seit er hereingekommen war, schien dieser Raum viel kleiner und dunkler geworden zu sein.
»Damit hatte ich nichts zu tun«, sagte er. »Ich habe niemanden getötet. Ich habe auch den Kardinal nicht getötet. Das kann man mit mir nicht machen.«
»Den Kardinal hat auch niemand getötet«, sagte eine Männerstimme neben ihm. »Sie irren sich, Mr. King: Heute wurde John Jackson erschossen.«
Fünf Minuten vor zwölf betrat Elizabeth den Trakt des Kennedy-Flughafens, in dem sich der Schalter der Eastern Airlines befand. Die Türen wurden durch ein elektrisches Auge gesteuert. Sie öffneten sich automatisch vor ihr und glitten hinter ihr lautlos wieder zusammen. Diese Erfindung war ihr immer schon unheimlich vorgekommen. Vor knapp einem Monat hatte sie drüben in der Ankunft gestanden, mitten in dem Strudel menschlicher Leiber, der auf jedem Flughafen herrschte, und darauf gewartet, daß jemand Keller abholen sollte. Aber niemand war gekommen, und sie hatten das Gebäude gemeinsam verlassen. Er mußte sie am Arm festhalten, weil sie zu fliehen versuchte. Das war knapp vier Wochen her, aber ihr schien es, als sei ihr ganzes Leben in diesen Zeitraum gepreßt gewesen.
Sie waren einander begegnet wie Figuren in einem griechischen Drama, gelenkt vom unerbittlichen Schicksal. Elizabeth hatte nie an Prädestination geglaubt. Was den Zweck des menschlichen Lebens betraf, war sie sich nicht sicher. Schicksalhafte Vorausbestimmung war nur eine Ausrede der Gedankenlosen, die immer behaupten, zu sehr mit Leben beschäftigt zu sein, um über den Sinn des Lebens nachzudenken. Das hätte sie wahrscheinlich gesagt, bevor sie Keller kennenlernte. Aber als sie sich jetzt durch die Menschenmenge drängte und dem vereinbarten Treffpunkt zustrebte, dem Schalter, an dem ihre
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