Der Meuchelmord
Karten schon warteten, da war alles ganz anders geworden.
Sie hatte sich verspätet. Genau wie im Taxi war ihr danach zumute, sich einfach gehenzulassen und zu weinen. Vielleicht war er schon fort, vielleicht hatte er eine andere Maschine genommen und geglaubt, sie hätte es sich noch einmal überlegt. Sollten sie durch die Boshaftigkeit dieses griechischen Schicksals tatsächlich so viel durchgemacht und alle Hindernisse überwunden haben, um sich im letzten Augenblick noch zu verfehlen? Die Leute drehten sich erstaunt nach ihr um, als sie hastig weiterdrängte. Sie fiel immer wegen ihrer Eleganz und ihrer Schönheit auf. Sie war die elegante Amerikanerin mit dem Glanz, der von erfolgreichen Modellen ausgeht. Jetzt unterstrichen das Kostüm von Yves Saint Laurent und der schwarze Nerz auf ihren Schultern nur ihre Verzweiflung, ihren Wettlauf mit der Zeit.
Sie kam an einem großen Kiosk voller Magazine vorbei. Dort stand eine dichte Menschenmenge beisammen, aber Elizabeth fiel nicht auf, daß diese Leute keine Taschenbücher kaufen wollten, sondern sich um ein Transistorradio geschart hatten. Elizabeth hörte die Nachrichtensendung nicht. Sie lief auf den Schalter zu. Auch in der dichtesten Menschenmenge hätte sie ihn unweigerlich erkannt. Er war nicht da. Sie blieb sekundenlang stehen und kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung an. Aber sie durfte nicht gleich das Schlimmste denken. Vielleicht hatte er ihr eine Nachricht hinterlassen. An dem Schalter warteten etwa ein Dutzend Leute auf ihre Flugkarten. Sie stellte sich hinten an und wartete, bis sie an der Reihe war. Dabei hielt sie dauernd nach ihm Ausschau.
»Auf den Namen Elizabeth Cameron sind zwei Flugkarten nach Mexico City bestellt«, sagte sie. Ihr wurde so schwach, daß sie sich an dem Schalter festhalten mußte. Die Uhr, genau vor ihr, zeigte auf zwölf. Eine Stunde Verspätung. Sicher war er längst wieder gegangen – falls nicht auch er durch den Verkehr aufgehalten worden war. Und das war durchaus möglich. Er mußte ja später weggefahren sein, weil er nicht wissen konnte, daß die Prozession am St.-Patricks-Tag immer zu einem Verkehrschaos führte. Bei diesem Gedanken war sie so erleichtert, daß sie schon wieder weinen wollte. Meine einzige Reaktion, dachte sie hysterisch, sind nur noch Tränen. Natürlich hatte er sich verspätet, aber das machte nichts. Es gingen ja noch andere Flüge nach Mexico City. Wo war er nur, mein Gott, wo blieb er?
»Hier sind Ihre Flugkarten. Die Passagiere für den Mittagsflug sind vor zwanzig Minuten an Bord gegangen. Sie müssen leider die nächste Maschine nehmen, die heute nachmittag um fünf startet.«
»Wir müssen aber früher weg«, sagte Elizabeth. »Wir nehmen die nächste erreichbare Maschine, gleichgültig von welcher Gesellschaft.«
Wie lange konnte sie wohl warten, ohne die Hoffnung zu verlieren? Eine Stunde, zwei Stunden? Sie hatte immer noch die Telefonnummer der Pension in der Tasche. Sie konnte versuchen, ihn anzurufen. Sicherheitshalber öffnete sie ihre Handtasche und schaute nach. Dann tat sie das, was jede Frau unbewußt tut, wenn sie einen Mann erwartet: Sie sah in einen Spiegel. Ihr Gesicht war blaß, ihre Lippen brauchten ein wenig Make-up. In dem kleinen Kreis des Handspiegels sah sie Peter Matthews am äußeren Rand der Gruppe drüben am Zeitungskiosk stehen.
Sie malte sich die Lippen an und preßte sie zusammen, um die Farbe etwas zu verteilen. Dann puderte sie sich das Gesicht und benahm sich in allen Dingen ganz natürlich. Als sie ihr Etui zusammenklappte, war er immer noch im Spiegel zu sehen. Dann drehte sie sich um – er war verschwunden.
»In einer Stunde fliegt die Linie Braniff nach Mexico City, vielleicht kann ich Ihnen dort … Was ist, Madam, fühlen Sie sich nicht wohl?« Hinter dem Schalter stand eine hübsche junge Mexikanerin mit seidiger brauner Haut und dunklen Rehaugen. Sie fürchtete, ihre Kundin könnte ohnmächtig werden. »Möchten Sie sich vielleicht setzen?«
»Nein«, antwortete Elizabeth. »Nein, vielen Dank, es geht schon wieder.«
»Die BN 703 startet in einer Stunde. In der ersten Klasse wären noch zwei Sitze frei.«
»Verzeihung«, sagte Elizabeth, »ich hab's mir anders überlegt.« Es war tatsächlich Matthews, darin bestand kein Zweifel. Er hatte sie beobachtet, während sie ihren Spiegel gebrauchte. Und er hatte sie angelogen, er war fest entschlossen, sich von ihr zu Keller führen zu lassen. Sein Mitgefühl war nichts weiter als
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