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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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auch die zweitausend Menschen in der Kathedrale auf einen historischen Augenblick warten. Ein katholischer Kardinal war im Begriff, in der Arena der Präsidentschaftswahlen den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Nur mußte es mit gebührender Würde geschehen. Als er weitersprach, war seine Stimme nicht mehr voll und tönend, wie eben, sondern ganz ruhig und gelassen. Es war wie bei einem Gespräch von Mann zu Mann, und er sah dabei John Jackson an.
    »Heute sitzt hier in meiner Kirche, vor dem Altar in der Gegenwart Gottes, des Allmächtigen, ein Mann, der sich öffentlich als Feind christlicher Nächstenliebe bezeichnet. Diesem Mann und euch allen habe ich folgendes zu sagen: Schwört der Lehre des Hasses und der Dummheit ab. Wenn ihr an unser Vaterland glaubt, wenn einer sich zur Führerschaft berufen fühlt, dann muß er vorher Unterdrückung und Vorurteile aus seinem Herzen reißen! Wenn jemand nicht imstande ist, alle Menschen Amerikas zu repräsentieren, dann ist er auch nicht geeignet, auch nur einen einzigen zu vertreten.«
    Eine unwillkürliche Bewegung ging durch die Zuhörer. Der Kardinal hob die rechte Hand.
    »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.« Er drehte sich um und nahm seinen Platz auf dem Thronsessel wieder ein.
    Da stand Mrs. Jackson auf. Sie wartete auf ein kurzes Nicken ihres Mannes, dann griff sie nach ihrer Handtasche und verließ die Kirchenbank, den Blick starr geradeaus gerichtet. Von der Gegend, in der Jackson saß, breitete sich schnell ein Rascheln und Raunen aus. Ein paar Leute, die weiter entfernt saßen, erhoben sich, um besser sehen zu können.
    Keller beobachtete die Frau. Sie näherte sich schon dem Ende der Bank und schob sich an dem peinlich berührten offiziellen Vertreter der Stadtverwaltung vorbei, gefolgt von John Jackson. Jeder in der Kathedrale, der den Hochaltar und die ersten Bänke sehen konnte, hatte jetzt nur Augen für Jackson. Niemand bemerkte, wie Keller die Pistole aus der Tasche zog. Er zielte sehr sorgfältig auf den Kopf, dessen grauer Heiligenschein im Lampenlicht hell leuchtete.
    Keller zielte auf die linke Schläfe, berücksichtigte Flugbahn und Rückstoß und drückte ab. Die Waffe hatte keinen Schalldämpfer, weil man ein so unförmiges Ding nur schwer verstecken kann. Ursprünglich war vorgesehen, daß Regazzi während der rauschenden Klänge des Introitus niedergeschossen werden sollte. Die Orgelmusik hätte den Schuß gedämpft. Aber als Keller abdrückte, schwieg die Orgel. Es ertönte nur ein scharfer Knall und gleich darauf ein lauter Aufschrei. Jackson fiel seitlich gegen die Lehne der Bank. Die Brille rutschte ihm von der Nase und hing noch einen Augenblick schief an seinem Ohr. Sein Körper sank in sich zusammen, aber er konnte nicht zu Boden stürzen, weil die Bank zu eng war und weil von beiden Seiten entsetzt aufschreiende Menschen nach ihm griffen. Aus dem einen Schrei war ein wildes Durcheinander geworden. Die Leute drängten sich auf den Mittelgang, und die Sicherheitsbeamten mußten sich gewaltsam einen Weg bahnen. Schnell breitete sich Hysterie in der Kirche aus.
    »Er ist tot, erschossen!«
    In diesem Augenblick wußten viele noch nicht genau, wer das Opfer war. Aber die Tatsache eines Attentats genügte. Keller klammerte sich an die Säule, um nicht von den vorbeiströmenden Menschen mitgerissen zu werden. Polizeibeamte und Kriminalisten in Zivil bildeten einen engen Kreis um die erste Kirchenbank. Die Neugierigen wurden zurückgedrängt. Jemand schrie Keller an: »Halten Sie doch um Himmels willen die Leute zurück! Die Seile spannen!« Keller verstand nicht, was der Mann wollte. Er blieb stehen und versteckte die Pistole unter dem Gewand des Meßdieners. Er hatte Jackson genau getroffen. Kurz bevor der Mann umkippte, war deutlich das kleine runde Loch in der linken Schläfe zu sehen. Er war tot. Genauso tot wie Souha, so tot wie Mr. Kings hochfliegende Pläne. Er hatte im Krieg viele Männer getötet, deren Namen er nicht einmal kannte. Es machte ihm nichts aus, den Mann zu töten, den Souhas Mörder an die Macht bringen wollten. Aber dann war es Zeit, die Kirche zu verlassen. Am hinteren Ausgang wartete Kings Killer, und Keller würde seine Waffe noch einmal gebrauchen müssen.
    Als der Schuß krachte, schob Smith sich gerade durch den Seitengang neben dem Altar. Das massive Schnitzwerk aus Mahagoniholz versperrte ihm die Sicht. Er hörte nur die ausbrechende Hysterie und das Geschrei, er sah Kollegen und

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