Der Meuchelmord
nicht.
Er war die Fragen auf einmal leid, diese Versuche, etwas über seine Auftraggeber herauszufinden. Über den Zweck der Reise. Diesen Zweck kannte er. Er kannte ihn schon, als er seine Schießkünste vorführen mußte, als er einen Ball von der Größe eines Menschenkopfes aus dem Baum schoß. Er wurde fürs Töten bezahlt, und je weniger er wußte, um so sicherer war er. Nur das Geld spielte eine Rolle.
Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Ohne einen Blick auf das Mädchen zu werfen, schloß er die Augen.
»Entschuldigung«, murmelte er. »Ich möchte schlafen.«
Das Zimmer im vierten Stock des billigen Hotels an der Ecke Neunte Avenue und Neununddreißigste Straße West hatte zwei Monate lang leergestanden. Als Pete Maggio es für zwei Wochen mietete, nahm der Verwalter das Geld entgegen und händigte den Schlüssel aus, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Er kannte Maggios Ruf: Er stammte aus dieser Gegend und war von einem kleinen Gauner zum Laufjungen für die großen Bosse abgeglitten. Nach drei Jahren in St. Quentin hatte er einen Lungendefekt und hätte nicht einmal mehr eine alte Frau zusammenschlagen können. Er arrangierte dieses und jenes und verdiente sich ab und zu mit Handreichungen ein bißchen Geld. Er war eine Null, das wußten alle, aber wenn er ein Hotelzimmer reservierte oder etwas zum Abholen hinterlegte, dann handelte er im Auftrag der großen Bosse. Er bezahlte gut dafür. Das Zimmer stand ohnehin leer, und es würde frei bleiben, bis jemand den Schlüssel benutzte, den Maggio bekommen hatte. Pete erhielt seine Anweisungen per Post. Er hatte von der Hotelmiete ein paar Dollar abgeschöpft und im übrigen die Befehle strikt ausgeführt. An diesem Februarmorgen stand er auf, zog sich an, schrieb die Adresse des Hotels auf einen Zettel und steckte ihn zusammen mit dem Zimmerschlüssel in einen Briefumschlag, dann fuhr er mit dem Omnibus hinaus zum Flughafen. Es war ein sehr kalter Morgen. Die kahlen Wolkenkratzer New Yorks glitzerten wie Eiszapfen vor dem frostigen Himmel. Der eisige Wind drang ihm bis in die Knochen. Zum Kennedy-Flughafen mußte er umsteigen. Pete klapperte mit den Zähnen und überlegte, ob er nicht ein Taxi nehmen sollte. Er brauchte nichts weiter zu tun, als die Maschine aus Beirut abzuwarten, sich nach einer Miß Cameron zu erkundigen, sein Päckchen ihrem Begleiter auszuhändigen und ihn mit einem Taxi zur 39. Straße zu schicken. Das alles hatte er tags zuvor am Telefon erfahren. Wenn alles erledigt war, sollte er weitere hundert Dollar bekommen.
Er dachte an diese hundert Dollar und vergaß die Kälte. Ab und zu setzte er auf Pferde. Das war sein Hobby, genau wie andere sich mit Frauen oder Schnaps oder beidem vergnügten. Unten in Florida lief ein Pferd, das Pete während der ganzen letzten Saison genau beobachtet hatte. Es hieß ›Monkey's Paw‹. Es war gut in Form, und der Name gefiel Pete. Als er noch ein Junge war, wurde er immer ›Monkey‹ gerufen. Er hatte ein schiefes Gesicht mit tiefliegenden braunen Augen und eine flache Nase. Ein oder zwei Jahre lang hatte er sich gegen diesen Namen nicht gewehrt. Monkey kannte jeder. Man konnte ihn gut gebrauchen, wenn es etwas zu kassieren gab oder wenn nachgeholfen werden mußte, wenn jemand nicht bezahlen wollte. Aber dann wurde er erwischt und eingesperrt. Damit war alles aus. Seine Lunge war kaputt, und er war nur noch für Botengänge zu gebrauchen. Wenn er bei 8:1 diese hundert Dollar auf ›Monkey's Paw‹ setzte, bedeuteten das achthundert Dollar. Mit achthundert Dollar konnte er …
Er sah den Lastwagen überhaupt nicht. Seine Gedanken waren so sehr mit den achthundert Dollar beschäftigt, daß er mit halbgeschlossenen Augen einfach auf die Fahrbahn trat. Er starb, bevor er seinen Satz zu Ende denken konnte. Der Wagen war beladen und wog zweieinhalb Tonnen. Als sie Petes Leiche darunter hervorholten, war von dem für Keller bestimmten Päckchen nichts weiter übrig als ein blutdurchtränkter Klumpen und ein Schlüssel.
Als die Maschine landete, war Elizabeth halb gelähmt vor Müdigkeit. Im Gegensatz zu ihrem Begleiter hatte sie nicht schlafen können. Sie war für ein oder zwei Stunden eingenickt und dann mit einem Angstgefühl hochgefahren, das nichts mehr mit dem Fliegen zu tun hatte. Sie betrachtete Keller, während er schlief. Er rührte sich kaum. Vielleicht lag es nur an ihrer Einbildung, aber in diesen langen Stunden fragte sie sich mehrfach, ob er wirklich schlief oder sie nur
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