Der Meuchelmord
und hörte nichts mehr, sie hing nur in seinen Armen und fühlte sich im Rhythmus seiner Küsse auf und ab geschaukelt. Ihre Glieder gehorchten ihr nicht mehr, und wie durch eine fremde Kraft bewegt verschränkte sie ihre Hände hinter seinem Nacken. Intermezzo zwischen zwei Liebhabern! dachte sie wütend. Sie hatte mit einem Mann geschlafen und sich selbst vorgemacht, daß dies die Liebe war. Für Peter Matthews war dieses Zimmer hergerichtet worden. Aber zwischen ihnen beiden hatte es nicht einmal auf dem Höhepunkt der Erregung einen einzigen Augenblick gegeben, in dem Elizabeth sich so vollständig verlor wie jetzt in dieser Sekunde.
Dann ließ Keller von ihr ab. Er nahm sie bei den Schultern und hielt sie in Armeslänge fest. Ohne es zu wissen, standen sie bereits neben dem Bett. Noch ein paar Augenblicke, und er hätte sie niedergedrückt. Ihr Gesicht war aschfahl, Tränen sickerten ihr unter den Lidern hervor und zeichneten Spuren auf ihre Wangen.
»Jetzt wissen wir, woran wir sind«, sagte Keller. »Ich kann dich jederzeit haben. Und ich will dich wirklich, also sei vorsichtig. Sei ja vorsichtig!« Er führte sie zum Bett und setzte sie hin. »Ich wollte dir nicht weh tun«, fügte er langsam hinzu, »aber du hast mich wütend gemacht. Ich hole dir etwas zu trinken. Wo steht das Zeug?«
»Dort drüben.« Sie erkannte ihre eigene zitternde Stimme nicht wieder. »Drüben, im Wohnzimmer.« Sie sah ihm nach, hörte, wie er hin und her ging, die Tür des Wandschranks mit dem Klee darüber öffnete, mit Gläsern klapperte und mit einem Tablett zurückkam. Ich muß weg von hier, hämmerte sie sich ein. Ich muß aufstehen, aus diesem Zimmer gehen. Wenn er mich noch einmal anrührt …
»Trink«, sagte Keller. Er drückte ihr ein Glas Kognak in die Hand und goß ein halbes Wasserglas voll Whisky in einem Zug hinunter. »Geh lieber hinüber in dein Zimmer.«
Sie sah zu ihm auf, und der Kognak beruhigte sie. »Warum hast du nicht weitergemacht? Warum hast du mich losgelassen?«
»Weil ich schon tief genug in der Klemme sitze, um mich auch noch mit dir einzulassen«, sagte er. »Ich wollte dir nur zeigen, was passiert, wenn mir jemand komisch kommt. Jetzt weißt du's. Hab keine Angst, ich rühr' dich nicht wieder an.«
»An der Ohrfeige bist du selbst schuld«, sagte Elizabeth schleppend. »Und es ist kein Intermezzo zwischen zwei Liebhabern. Es hat bisher nur einen gegeben, und das liegt Jahre zurück.« Sie stand auf und verließ das Gästezimmer.
Keller folgte ihr. Im Vorbeigehen sah sie ihr Bild im Spiegel. Sie sah furchtbar aus. Das Haar hing ihr lose auf die Schultern herab. Sie schob es zurück und tastete nach den Kämmen, die ihre Frisur festgehalten hatten.
»Laß ruhig«, hörte sie ihn sagen, »es sieht so viel hübscher aus.«
»Was wirst du nun machen?« Sie hätte seinen Rat befolgen sollen. In ihr Zimmer hinübergehen, die Tür verriegeln. Sie hätte wenigstens so tun sollen, als hätte der Zwischenfall sie zutiefst gekränkt. Aber Elizabeth brachte es nicht fertig. Sie war sich selbst gegenüber zu ehrlich, um ihm etwas vorzumachen. Zuletzt war sie bereit gewesen. Wenn er sie jetzt in die Arme genommen hätte, wäre es mit ihrer Einwilligung geschehen.
»Ich besorge etwas zu essen«, sagte Keller. »Du brauchst dich um mich nicht zu kümmern.«
»Ich mache uns etwas zu essen«, sagte sie. »Wenn du schon hier bleiben wirst, mach es dir ruhig bequem. Es ist dann besser, wenn ich dich wie einen Gast behandle. Ich weiß nicht, worum es geht, aber wir stecken nun einmal beide in der Sache drin, ob uns das paßt oder nicht. Ich mache Rühreier und Kaffee.«
Er gab ihr keine Antwort. Er ging in das Zimmer zurück, aus dem sie gerade gekommen waren, und packte sein Rasierzeug aus. Wenn er Glück hatte, brauchte er es nicht. Vielleicht kam doch noch jemand, und er konnte heute noch diese Wohnung, dieses Mädchen verlassen. Was er mit ihr gemacht hatte, gefiel ihm gar nicht. Es war ein schlechtes Zeichen – ein Zeichen, daß es ihm an Selbstbeherrschung fehlte. Ihr Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht, auch nicht der Ärger, den er empfunden hatte, als sie ihr Haar wieder hochstecken wollte. Das Ganze war verrückt, eine unnötige Komplikation. Fluchend warf er seine Sachen aus dem Koffer. Er nahm sich vor, ihre Nähe zu meiden. Das war am wichtigsten. Er mußte Abstand halten, ihrem Duft und zufälligen Berührungen aus dem Weg gehen, damit dieser Funke nicht noch einmal zündete. Er wollte sich gar
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