Der Meuchelmord
diese faszinierende Stadt der Welt schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Sie betraten den Lift. Elizabeth drückte auf den Knopf für den zwölften Stock.
»Ich hab' Sie noch nie danach gefragt«, sagte er plötzlich, »leben Sie allein hier?«
»Wenn das nicht der Fall wäre«, entgegnete sie, »könnten Sie sich mir nicht auf diese Weise aufdrängen.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, sagte Keller. »Ich habe keine Angst vor Amerikanern. Und sehen Sie mich nicht so an, als ob ich Sie im nächsten Augenblick vergewaltigen würde. Ich werde nicht länger bleiben, als Sie mich freiwillig hierbehalten.«
Die Wohnung war klein, aber modern und elegant möbliert. Ein paar surrealistische und abstrakte Bilder aus der Sammlung ihrer Mutter hingen an den Wänden. Keller stellte seinen Koffer im Flur auf den Boden und sah sich um. Eine solche Wohnung hatte er noch nie gesehen. Hier war es so unglaublich warm, daß die Hitze wie eine Welle über seinen Kopf zusammenschlug. Er starrte verwundert die mit grobem Leinen bezogenen Wände an, die schwedischen Möbel, das bunt leuchtende Bild des belgischen Malers Magritte, das beste Stück ihrer Sammlung.
»Wie häßlich«, sagte Keller bedächtig. »Wie kann man nur so viel Geld ausgeben, um seine Wohnung so scheußlich einzurichten? Großer Gott!« Er deutete auf den Magritte. »Wie können Sie so etwas an Ihre Wand hängen?«
Sie gab ihm keine Antwort. Er war eben unwissend. Ein simpler Bauer. Genau das drückte die Haltung ihres Rückens aus, als sie an ihm vorbei ins Wohnzimmer ging.
»Wo ist das Schlafzimmer?« fragte er.
»Dort drüben. Und sagen Sie mir ja nicht, daß Sie es auch gräßlich finden, denn einen anderen Schlafplatz gibt es nicht für Sie.«
Das Gästezimmer hatte ein eigenes Bad, das ein befreundeter Dekorateur mit naturfarbenem Leder ausgekleidet hatte. Es sah aus wie die Kabine eines Schiffes. Keller drehte sich um. Seine Augen waren hart wie Stein.
»Hier wohnt ein Mann. Sie sagten, daß Sie allein leben.«
»Hier wohnte ein Mann«, verbesserte sie, »das Zimmer ist jetzt unbenutzt.«
»Kleines Intermezzo zwischen zwei Liebhabern?«
Die Ohrfeige, die sie ihm versetzte, war eine unwillkürliche Reaktion. Sie schlug zu, ohne zu überlegen, sonst hätte sie es nie gewagt. »So können Sie mit mir nicht reden!« Da er auf sie zukam, sagte sie noch: »Und rühren Sie mich ja nicht an. Wagen Sie es nicht, in meine Nähe zu kommen.«
Wenn sie das nicht gesagt hätte, dann hätte er es nicht gewagt. Den Schlag ins Gesicht hätte er hingenommen, weil er wußte, daß eine Frau wie sie sich von ihm eine solche Beleidigung nicht gefallen ließ. Aber es war dieser Schrei der Angst, dieser angewiderte Ton, der an seinen überreizten Nerven zerrte und zu einer Explosion führte. Er war siebentausend Meilen weit hergekommen, um einen Mann zu töten, den er noch nie gesehen hatte – für eine Summe Geldes, von der er bisher noch nicht einmal geträumt hatte. Er hatte sich so weit vorgewagt, daß er schon eine eisige Hand in seinem Nacken spürte, und alles war schiefgelaufen. Der sorgfältig vorbereitete Plan, die durchdachte Organisation – alles war zusammengebrochen. Am Flughafen hatte ihn niemand abgeholt, und er war an diesem Mädchen hängengeblieben, an einer Frau, die ihn verächtlich und feindselig behandelte, die er nicht berühren durfte, als wäre er ein schmutziges, wildes Tier. Und der Ton, in dem sie ihm das verboten hatte! Dabei drängte es ihn schon seit Beirut, seit ihr Duft ihm in die Nase gestiegen war, seit ihre Knie ihn berührt hatten.
Er griff nach ihren Armen und drehte sie ihr hinter den Rücken. Dann beugte er sich über ihren gespannten Körper und zwang ihren Kopf zurück. Sie hatte die Lippen zu einem Schmerzensschrei geöffnet. Sie preßte sie wieder zusammen, als er sie küßte, und versuchte, sich mit einem verzweifelten Ruck zu befreien. Er tat ihr absichtlich weh, um ihr ein für allemal klarzumachen, daß er ein Mann war, gegen den man sich besser nicht wehrte. Trotzdem gab sie nicht gleich auf. Sie wand sich und trat nach ihm und stieß unter dem Druck seiner Lippen kleine halberstickte Laute aus. Aber dann wurde sie ruhig. Er drängte ihr die Lippen auseinander. Sie schien in der Luft zu verharren, als wäre die Zeit stehengeblieben. Die Wirklichkeit war nur noch der Druck seines Körpers; ihre Arme hingen kraftlos herab; sie spürte seine Finger in ihrem Haar, seinen Kuß auf ihrem wehrlosen Mund. Sie sah
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