Der Meuchelmord
gehofft, daß Sie mir das sagen können.«
»Soll das etwa heißen, Sie wissen es nicht?«
»Man bezahlt mich nicht, damit ich Fragen stelle«, sagte Keller, »auch nicht fürs Antworten. Wäre es nicht klüger, mich einfach hinzunehmen?«
»Es dürfte mir kaum etwas anderes übrigbleiben«, sagte Elizabeth, »aber ich bedaure es doch, daß ich nicht rechtzeitig ein paar Fragen gestellt habe!« King hatte ihr alles so einfach dargestellt – sie sollte nichts weiter tun, als ihrem Onkel einen kleinen Gefallen erweisen: für eine Woche in den Libanon kommen und dann zusammen mit einer anderen Person zurückfliegen; auf dem Kennedy-Flughafen verabschieden, und damit basta. Alles sei vollkommen legal, hatte er ihr versichert. Auch er hatte sie gebeten, keine Fragen zu stellen, genau wie dieser Mann neben ihr. Nur lag in allem, was dieser Mann sagte oder tat, ein gewisser Zynismus, ein versteckter Spott. King war charmant und überzeugend gewesen. Wäre er jetzt hier, hätte er all seinen Charme aufbieten müssen.
Keller sah, daß die Stewardeß langsam den Wagen mit dem Menü heranschob. Es gab eine Möglichkeit, weitere Fragen des Mädchens zu verhindern: Er mußte sie ins Kreuzverhör nehmen.
»Lesen Sie eigentlich immer Fremde auf und nehmen sie mit nach Hause? Hat Ihr Mann nichts dagegen?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
»Wie überraschend. Die meisten Amerikanerinnen heiraten doch mehrmals.«
»Manche tun es nicht«, sagte Elizabeth. Sie ließ sich ein Glas Champagner reichen und sah zu, wie Keller einen doppelten Whisky hinuntergoß.
»Keine Sorge«, sagte Keller, »ich vertrage eine ganze Menge. Erzählen Sie mir etwas über sich selbst. Sie sind also nicht verheiratet? Sie sind Amerikanerin und haben viel Geld.«
»Woher wissen Sie das?«
»So etwas riecht man«, sagte Keller. »Geld hat einen ganz bestimmten Geruch, den ein armer Mann nie vergißt, wenn er ihn erst einmal gewittert hat. Ich hab's gleich gerochen, als Sie in das Taxi stiegen. Wo wohnen Sie?«
»In New York, ich habe eine kleine Wohnung in der City.«
»Keine Eltern?« Eigentlich war es ihm gleichgültig. Er redete weiter, ohne ihre Antworten zu beachten. Er wollte gar nichts über sie hören. Er hatte eine eigene Frau in Beirut, eine Frau, die ihn liebte. Es tat ihm schon leid, daß er sich hier neben sie gesetzt hatte. Zwölf Stunden mit zwei Zwischenlandungen, das war eine verdammt lange Zeit.
»Ich habe keine Eltern«, antwortete Elizabeth. »Die sind vor zwei Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.«
»Daher also Ihre Abneigung gegen das Fliegen?«
»Vielleicht. Ihre Maschine explodierte über Mexico in der Luft. Und Sie? Haben Sie keine Angehörigen?«
»Nicht daß ich wüßte«, antwortete Keller.
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Sie sind doch Franzose, nicht wahr?«
»Nach meinem Paß bin ich Amerikaner«, sagte er, »das dürfen Sie nie vergessen. Sprechen wir lieber über Sie.«
»Da gibt es nichts zu erzählen«, sagte sie. »Ich besuche häufig meinen Onkel, der in der Nähe von New York lebt, und die übrige Zeit verbringe ich in meiner Stadtwohnung.« Ihr Lächeln galt mehr den eigenen Gedanken als ihm. »Und – wie Sie schon sagten – ab und zu lese ich irgendwo einen Fremden auf.«
»Nur so aus Spaß«, bemerkte Keller. »Ohne daß jemand Sie dafür bezahlt.«
»Ich werde nicht bezahlt, ich tu's wirklich nur aus Spaß. Oder vielmehr – meinem Onkel zu Gefallen.«
Jetzt hörte Keller ihr doch zu.
»War er denn bei Ihnen?« Er hatte die Gestalt in dem Mercedes nicht genau erkannt, aber dieses Mädchen hier war es bestimmt nicht gewesen. Schöner Onkel, der sie in so etwas hineinzog.
»Nein«, antwortete Elizabeth, »er verläßt die Vereinigten Staaten niemals. Ich war mit einem Freund von ihm dort.«
»Warum ist der Mann nicht mitgekommen?« Vielleicht war er menschenscheu wie der Mann hinter der Milchglasscheibe. Oder er wollte sein Gesicht nicht zeigen und schob lieber ein hübsches Mädchen vor.
»Er mußte nach Deutschland, er ist nämlich eine Art Verleger.«
Ein Verleger soll er sein, dachte Keller spöttisch und zündete sich eine neue Zigarette an. Ohne zu überlegen, nahm er eine zweite aus der Packung und reichte sie Elizabeth. Für eine Sekunde berührten sich ihre Finger. Aber er wollte es einfach nicht wahrhaben, sie nicht ansehen. Sie war für ihn nichts weiter als eine Tarnung. Wenn diese Reise vorüber war, würde er sie nie wiedersehen. Er wollte das auch gar
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