Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
Vom Netzwerk:
Aber die Stadt hatte auch eine ganz eigentümliche Schönheit: Eispaläste ragten in den Himmel, die beiden großen Flüsse, der Hudson und der East River, flossen wie zwei Arterien durch den Betondschungel, die Oase des Central Park – und vor allen Dingen das unglaubliche Panorama dieser Stadt bei Nacht. Sie hatte ihn einmal spätabends zu einer Spazierfahrt mitgenommen, und während sie sich vom dichten Verkehr dahinschieben ließen, wurde Keller an ein Feuerwerk erinnert, an eine Stadt, über die es Gold regnet, in der Lichter die Nacht verdrängten und über die Köpfe der Menschenmenge ausgegossen wurden wie ein Sack voll Juwelen.
    »Schön, nicht wahr?« sagte Elizabeth. »Gar nicht wie Europa, aber das soll es auch nicht sein. Eine typisch amerikanische Stadt. Ich liebe sie.«
    »Du bist so begeisterungsfähig«, sagte Keller. »Es muß schön sein, so an einer Stadt zu hängen.«
    Sie hielten an einer Kreuzung. Als die Ampel umsprang, fuhren sie weiter. Er bemerkte, daß sie eine sehr gute Fahrerin war. Es war die Wahrheit, wenn sie von ihrer Geschicklichkeit und Tüchtigkeit gesprochen hatte. Was ihn jedoch überraschte, war die unberechenbare Weiblichkeit, die ab und zu zum Vorschein kam, ein Zögern, das ihn beim Überqueren der Straße nach ihrem Arm greifen ließ. Er hatte noch nie zuvor das Gefühl gehabt, eine Frau beschützen zu müssen. Seine Haltung gegenüber Souha war fast väterlich, als hätte er es mit einem Kind zu tun, das im Leben schon zu viel herumgestoßen worden war und das er mit verbissener Entschiedenheit vor weiterem Schaden bewahren mußte. Aber seine Gefühle für Elizabeth Cameron sahen ganz anders aus. Sie stellte eine Mischung dar, die ihn verwirrte und die ständig neue, unerwartete Impulse an ihm weckte. Sie brauchte seinen Schutz nicht, nicht so wie die kleine Araberin, die sich von Geburt an immer hatte verteidigen müssen. Sie war reich und selbstbewußt, sie konnte fast alles so gut wie die meisten Männer, aber wenn er in ihrer Nähe war, drängte es ihn, sie zu stützen, ihr Paket zu tragen oder nur ganz einfach den Wagen anzuhalten und sie an sich zu ziehen. Er beobachtete sie beim Fahren. Ihrer Schönheit schien sie sich nicht bewußt zu sein, als merkte sie nicht, wie sie auf ihn wirkte. Aber wenn sie einander nahe kamen oder sich zufällig berührten, lag ein bittender Ausdruck in ihren Augen, als flehte sie ihn an, behutsam zu sein und sie nicht auszunutzen. Er kannte Sehnsucht und Begierde, und er wußte, wie sehr die Nerven eines Mannes darunter leiden und wie sein klares Denken verwirrt werden konnte, und sei es auch nur vorübergehend. Er wußte es, weil sein Empfinden ihr gegenüber ganz ähnlich war, aber er widerstand der Versuchung, nachts einfach in ihr Zimmer zu gehen und sie in die Arme zu nehmen, weil diese anderen, fremdartigen Empfindungen da waren, die er nicht einmal sich selbst einzugestehen wagte. Das Wort Liebe wäre ihm nie über die Lippen gekommen. Wenn sie ausging, lief er gelangweilt und gereizt in der Wohnung auf und ab und wartete auf das Summen des Aufzugs, das Klappern ihres Schlüssels.
    Wenn sie bei ihm war, vergaß er den Grund seiner Reise nach New York. Er vergaß, auf den Telefonanruf zu warten, der immer noch nicht gekommen war, er vergaß Souha und den Libanon, als gehörten beide einem Traum an, als seien die Tage mit Elizabeth die einzige Wirklichkeit.
    Dann hatten sie ihre Wohnung wieder erreicht. Sie stiegen aus und überließen es dem Portier, den Wagen wegzufahren. Keller war akzeptiert, und sogar der Hauptportier grüßte ihn. Auf dem Flur wandte sich Elizabeth lächelnd ihm zu.
    »Möchtest du etwas trinken?«
    »Nein.« Keller nahm ihr den Mantel ab und legte ihr für einen Augenblick die Hände auf die Schulter. Es war ein Fehler, sie zu berühren, ein gefährliches Heraufbeschwören einer Situation, die sich nie wiederholen sollte. Dieses Versprechen hatte er beiden gegeben. Er merkte, wie sie erstarrte, und trat sofort zurück.
    »Du brauchst vor mir keine Angst zu haben«, sagte er. »Das habe ich dir doch versprochen.«
    »Ich habe keine Angst vor dir«, erwiderte Elizabeth, »höchstens vor mir.«
    »Ich kann nicht hierbleiben«, sagte Keller plötzlich. »Das geht nicht. Es kann lange dauern, bis jemand Kontakt mit mir aufnimmt. So lange kann ich nicht mehr für mich garantieren. Ich habe genug Geld, ich kann in ein Hotel ziehen. Wenn eine Nachricht kommt, kannst du sie für mich annehmen. Das wird besser sein.

Weitere Kostenlose Bücher