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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Art, mich anzusehen und um mich herumzuscharwenzeln.« Er lachte. »Ich hatte außer den Nonnen noch keine Frauen kennengelernt, und die, gerade die war nicht nach meinem Geschmack. Deshalb sorgte sie dafür, daß ich flog. Sie erzählte ihrem Vater, ich hätte gestohlen.«
    »Stimmte das?« fragte Elizabeth.
    »Ja, natürlich. Ich bekam nicht genügend zu essen, also stahl ich und verkaufte die Sachen auf dem Schwarzmarkt. So ging es eine ganze Weile – mal hier ein Job, mal da. Ich hatte nie genug Geld zum Leben und nahm mir vor, das zu ändern. Aber wie, das werde ich dir nicht erzählen.«
    »Gut«, sagte sie leise, »du hast mir schon genug erzählt.«
    Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte schweigend. Dabei dachte er an die Dinge, die er ihr verschwieg. Die Schläge von den Besitzern des Cafés, nachdem er per Anhalter von Lyon nach Paris gefahren war. Er hatte seine Aufgabe mißverstanden und die amerikanischen Soldaten laufenlassen, ohne sie in das Bordell zu locken, das im Hinterhaus betrieben wurde. Sie hatten ihn auf der Straße grün und blau geschlagen, bis er Blut in die Gosse spuckte. Es waren nicht die ersten Prügel, die er bezogen hatte, aber er war jetzt sechzehn und beschloß, daß es seine letzten sein sollten. Von nun an wollte er jeden Schlag doppelt und dreifach zurückzahlen.
    »Ich war ein Dieb«, sagte er. »Ich handelte auf dem Schwarzmarkt mit allem, was man zu Geld machen konnte. Aber ich lebte wie ein Hund, durchstöberte die Mülltonnen und haßte die Welt, die alles im Übermaß besaß und mich hungern ließ. So lernte ich das Leben kennen. Als mir der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, ging ich in die Fremdenlegion. Das war immer noch besser als Gefängnis.«
    »Du konntest nichts dafür«, sagte Elizabeth. »Dir blieb keine andere Wahl. Du warst noch ein Kind, und keiner kümmerte sich darum, was aus dir wurde.« Sie umarmte ihn und hielt ihn fest. »Du hattest einfach keine Chance. Aber weißt du was? Wenn ich mir vorstelle, wie du als Kind allein warst und herumgestoßen wurdest – da muß ich dich noch mehr lieben.«
    Er lächelte sie an. »Ich dachte, es würde dich schockieren. Ich ging dann von der Legion weg, um ein neues Leben zu beginnen.«
    »So bist du also nach Beirut gekommen«, sagte sie. »Willst du mir nicht etwas von deinem Mädchen dort erzählen? Wie hast du sie kennengelernt?«
    »Ich habe sie aus der Gosse aufgelesen, als ich einmal nachts heimkam. Sie war vor Hunger ohnmächtig geworden. In Beirut gibt es Hunderte von Flüchtlingsmädchen, die sich für ein paar Pfennige verkaufen. Aber sie war keine Hure. Dafür war das arme Ding viel zu mager und zu häßlich. Keiner hätte sie haben wollen.«
    »Aber du schon«, sagte Elizabeth zögernd.
    »Ich wußte nicht, was ich mit ihr anfangen sollte, und los wurde ich sie auch nicht mehr«, erzählte Keller. »Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn ein menschliches Wesen vor meiner Schwelle liegt und versucht, mir die Füße zu küssen? Ich habe sie zu mir genommen, sie sorgte für mich.«
    »Sie muß dich lieben«, sagte Elizabeth. »Sie muß dich sehr lieben.«
    »Ich denke schon.« Er griff nach den Zigaretten. Sie schwiegen eine ganze Weile und rauchten. »Die meisten Araberinnen hätten mich gleich in der ersten Nacht ausgeplündert und wären dann verschwunden. Aber nicht Souha. Sie will weiter nichts als nur mich.« Er drehte sich um und sah Elizabeth an. »Wenn wir jetzt in Beirut wären, würde sie dich glatt vergiften und noch davon überzeugt sein, das Rechte zu tun.«
    »Wie niedlich!«
    »Nicht urteilen«, sagte Keller ruhig. »Das ist eben eine ganz andere Welt, als du sie kennst. Wenn man nichts besitzt, kämpft man mit allen Mitteln um das Wenige, das man noch hat. In deiner Welt bin ich ein Nichts, aber für einen Menschen wie Souha bin ich alles. Ein Mann, der sie nicht verprügelt, der sie nicht auf den Strich schickt, der ihr Süßigkeiten schenkt und sie zum Lachen bringt. Vor der Abreise habe ich ihr etwas Geld dagelassen. Dafür könnte man vielleicht knapp einen Pelzmantel kaufen, aber sie hat für den Rest ihres Lebens ausgesorgt. Was auch geschehen mag, sie hat keine Sorgen mehr.«
    »Was könnte denn geschehen?« Sie rückte von ihm ab. In dem matten Licht sah er ihre sorgenvollen Augen, den Ausdruck der Angst auf ihrem Gesicht. Ich rede zuviel, dachte er. Um ein Haar hätte ich mich zu einem gefährlichen Eingeständnis hinreißen lassen. Er nahm sie in die Arme und

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