Der Meuchelmord
in einen bunten Hausanzug mit einem langen Reißverschluß an der Vorderseite. Huntley liebte keine Dessous mit komplizierten Haken und Knöpfen. Er zog sie lieber mit einer einzigen, dramatischen Geste aus, und danach richtete sie das ein, was sie ihre Sex-Garderobe nannte.
Sie bürstete sich das Haar und musterte sich aus verschiedenen Perspektiven im Spiegel. Sie war so nervös wie ein Schulmädchen beim ersten Rendezvous. Bei diesem Gedanken mußte Dallas lächeln. Bevor Huntley sie aufgegabelt hatte, war ihr diese Angst vertraut gewesen, wenn auch aus anderen Gründen. Sie hatte nichts mit Besorgnis und damit zu tun, daß sie jemandem vielleicht nicht gefallen könnte. Es gab einen Mann, für den sie durchs Feuer gegangen wäre. Anscheinend war er ausbezahlt worden, denn er war spurlos untergetaucht. Jetzt tat sie nach außen hin alles, was er wollte, und manchmal machte es ihr sogar Spaß, aber innerlich blieb sie unbeteiligt. Für Dallas Jay gab es nur noch eine einzige Triebfeder: den Wunsch, von Huntley Cameron geheiratet zu werden. Das war keine Frage der Habgier, denn er zeigte sich immer großzügig. Sie hatte auf ihrem Bankkonto genügend Geld für den Rest ihres Lebens. Von Huntley geheiratet zu werden war für sie so etwas wie die Erfüllung ihres Lebens. Sie wollte der Welt zeigen, was sie, die kleine, unscheinbare Dallas, erreicht hatte – es war ein so herrlicher Traum, daß sie sekundenlang die Augen schloß und sich darin sonnte. Sie sah schon die Fotos in den Zeitungen vor sich, darunter auch das Titelbild, das ihr am besten gefiel: mit der Unterschrift ›Huntley Cameron heiratet Sängerin‹. Da ertönte ihr Summer.
Sie fühlte die Erniedrigung nicht mehr. Es machte ihr nichts aus, daß er nach ihr klingelte wie nach einem Dienstmädchen. Sie öffnete die Tür und ging hinüber zu Huntleys Zimmern auf der anderen Seite der Verbindungstreppe.
Siebentausend Meilen entfernt warf sich Souha in einem schäbigen kleinen Zimmer oberhalb der Zone Franche im Schlaf unruhig hin und her. Es ging schon auf den Morgen zu. Sie hatte den größten Teil der Nacht wach gelegen und an Keller gedacht und war dabei immer wieder in Weinkrämpfe verfallen. Er war nun schon seit über zwei Wochen weg, und sie hatte kein Wort von ihm gehört. Nichts war von ihm übrig außer ein paar abgeschabten Kleidungsstücken in einer Kommodenschublade und einer halbvollen Packung Zigaretten, die sie wie einen Schatz hütete. Jede Woche war pünktlich das Geld eingetroffen. Sie gab nur so viel davon aus, wie sie für Nahrungsmittel brauchte. Den Rest wollte sie ihm zurückgeben. Nie im Leben hätte sie daran gedacht, daß er nicht wiederkommen könnte. Sogar ihre Alpträume hörten vor diesem bitteren Ende auf, weil sie den Schmerz einfach nicht zu ertragen vermochte.
Nachdem er gegangen war, hatte sie sich mit allem möglichen beschäftigt: das Zimmer sauber gemacht, Tuch gekauft und ihm einen Hausmantel genäht. Das war ihre einzige Extraausgabe: Sie wählte eine buntgemusterte reine Seide und verbrachte beim Nähen die Zeit mit Gedanken an ihn: Der Mantel würde ihm sicher gefallen, sie hatte ähnliche Stücke in teuren Geschäften gesehen; dabei war ihr eingefallen, daß er noch nie so etwas besessen hatte. Sie wußte nicht einmal genau, bei welcher Gelegenheit man ein so extravagantes Ding trug, aber sie hatte lange Zeit vorm Schaufenster gestanden, sich genau angesehen, wie der Hausmantel genäht war, und hatte dann zu Hause versucht, es nachzumachen.
Nun war das gute Stück fertig. Es hing auf einer Stuhllehne und wartete auf den Besitzer. Sie sah es immer an, bevor sie abends das Licht ausschaltete. Der Hausmantel war wie ein Talisman. Wenn Liebe wirklich Ozeane überqueren und sich auf Schwingen durch Raum und Zeit fortbewegen kann, dann mußte Souhas Sehnsucht ihn da erreichen, wo er jetzt war, und ihn zurückholen. Sie schlief unruhig, aber gerade in den Stunden vor der Morgendämmerung gleitet der Mensch am tiefsten in die dunklen Bereiche der Bewußtlosigkeit hinab. Sie hörte nicht, wie der Türknopf gedreht wurde.
Draußen stand ein Mann, der lautlos wie eine Katze die Treppe heraufgeschlichen war, ein dunkler Schatten, der von der Finsternis rings um das Haus verschluckt wurde. Er hatte fünfzig libanesische Pfund à conto bekommen und weitere fünfzig in Aussicht. Um die rechte Hand gewickelt trug er eine dünne Kordel: sein Berufswerkzeug. Kein Lärm, keine Spuren, kein Widerstand. So lauteten seine
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