Der Meuchelmord
anderen. Huntley war schon mehrfach gegen die Maffia vorgegangen, Elizabeth wußte genau, was er wann unternommen hatte. Und deshalb hatte King sich wahrscheinlich diese Ausrede ausgesucht.
Jeder Mensch ist geneigt, das zu glauben, was er schon einmal gehört hat. Aber einen wesentlichen Punkt hatte er dabei übersehen, weil er ihn vielleicht nicht einmal ahnen konnte. Er hatte sich so verhalten, als ob ihre Lüge die Wahrheit gewesen wäre. Als ob dieser Keller für sie nichts wäre als ein schweigender Schatten im Nebenzimmer. Da King an diese Version glaubte, hatte er das Bild von einem verräterischen Gangster gezeichnet, ein Bild, das überhaupt nicht paßte, und nicht einmal ihre sarkastische Bemerkung über billige Filme war ihm aufgefallen. Keller hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Typen, wie King sie erwähnte. Sie hatte an seiner Seite gelegen, die Narben an seinem Körper gestreichelt, seine schwieligen, harten Hände auf ihrer eigenen Haut gespürt. Keller war nie im Leben ein Maffioso. Diese Leute liebten das schöne Leben, sie trugen teure Anzüge, ließen sich täglich frisieren und maniküren. Diese Leute gaben keinem halbverhungertem Flüchtlingsmädchen Unterschlupf.
Was immer der Mann auch sein mochte, den ich so liebte – er war jedenfalls nicht das, was King von ihm behauptete. Nach diesen Lügen wurde die Rolle ihres Onkels nur noch suspekter. Wie weit war er tatsächlich in die Sache verwickelt? Warum fürchtete King so sehr, daß Huntley etwas erfahren könnte? Warum fürchtete er sich nicht nur vor Huntleys Rache, sondern auch davor, daß sie etwas anderes erzählen könnte, als er ihr gesagt hatte? Plötzlich wurde ihr alles klar: Eddi King hatte vor niemandem Angst, nicht einmal vor ihrem Onkel. Je mehr sie sich bemühte, die ganze Angelegenheit zu entwirren, um so makabrer und gefährlicher wurde sie.
Beim Essen war sie nicht sehr gesprächig. Sie war so verkrampft, daß sie kaum einen Bissen hinunterbrachte. Sie stocherte auf ihrem Teller herum und hörte King zu, der Huntley mit kleinen Anekdoten aus Westdeutschland unterhielt. Er schien bester Laune zu sein und berichtete von Skandalen um bekannte europäische Politiker, bis ihr Onkel brüllend auflachte. Das allein war eine Leistung: Huntley war ein mürrischer Mensch, den man nicht so leicht amüsieren konnte. Noch nie zuvor war ihr Kings Geschicklichkeit so zu Bewußtsein gekommen. Jetzt begriff sie, wie er es fertiggebracht hatte, sich bei Huntley und anderen einflußreichen Leuten einzuschmeicheln: King amüsierte sie. Er war der Charmeur, der Unterhalter, der Hofnarr der reichen, argwöhnischen Tyrannen. Er war witzig, kultiviert und immer gleichmäßig guter Laune. Elizabeth wurde klar, wie auch sie diese Qualitäten an ihm geschätzt hatte. Noch vor einer Woche war sie mit ihm nach Beirut gereist und hatte ihn als angenehme, beruhigende Gesellschaft empfunden. Sie hatte sich von ihm genauso hereinlegen lassen wie ihr Onkel. Fast hätte sie ihn als Freund bezeichnet, wenn nicht gewisse Vorbehalte gewesen wären: das seltsam angewiderte Gefühl, als er ihr Blumen schickte, die Platzangst im Gewächshaus.
Je mehr Mühe sie sich gab, diesen amüsanten Plauderer Eddi King mit dem Mann in Verbindung zu bringen, den Leary als Verräter verdächtigte, um so verwirrender wurde dieses Bild. Sie sah zwei völlig getrennte Persönlichkeiten vor sich: die eine vertraut und klug, die andere kalt und rücksichtslos. Der aalglatte Intellektuelle konnte unmöglich das wahre Gesicht sein. Die Rolle war zu perfekt gespielt, das Kostüm zu gut geschneidert. Dieser King war nichts anderes als ein ausgezeichneter Schauspieler in einer sehr schwierigen Hauptrolle. Ohne Leary hätte Elizabeth ihn nie durchschaut. Aber jetzt merkte sie, daß er nicht echt war. Damit blieb jener andere King, von dem sie nichts wußte als die Tatsache eines heimlichen Treffens in Paris. Das war der echte King, das mußte der Mann sein, vor dem sie sich instinktiv gefürchtet hatte.
»Du ißt ja nichts«, sagte Huntley plötzlich. »Was ist denn los? Du machst doch wohl nicht irgendeine alberne Hungerdiät?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Elizabeth. »Aber ich habe keinen Hunger.«
»Wenn ich nur nicht so auf mein Gewicht achten müßte«, sprudelte Dallas hervor, »aber Huntley mag keine dicken Weiber, nicht wahr, Schatz?«
Er war bester Laune, weil er Eddi King gern um sich hatte und sich freute, Elizabeth wiederzusehen. Er lächelte Dallas an. »Du
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