Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
Vom Netzwerk:
Lippen.
    »Sie gehen aus?«
    Nach kurzem Zögern fragte Keller: »Wie kommt man von hier zur St.-Patricks-Kathedrale?«
    Dem Mann blieb der Mund offenstehen. Er machte ihn so weit auf, daß eine feine schwarze Linie zwischen seinen Schneidezähnen und dem Kiefer sichtbar wurde. »Sie wollen in die Kirche?«
    »Alle Katholiken gehen am Sonntag in die Messe«, antwortete Keller.
    »Nehmen Sie ein Taxi und steigen Sie an der Madison Avenue aus.« Er starrte ihm noch nach, als Keller die Haustür längst hinter sich geschlossen hatte. Dabei stützte er sich auf den Besen wie auf eine Krücke. Mit einem unterdrückten Fluch lehnte er ihn an die Wand.
    Dort stand er immer noch, als Keller knapp zwei Stunden später zurückkam.
    Dallas wachte mit einem Krampf im rechten Arm auf. Sie war mit dem Gesicht nach unten quer über das Bett gekippt und hatte auf ihrem Arm gelegen. Zu den zuckenden Muskeln gesellte sich rasch ein pochender Kopfschmerz, der bis in den Nacken reichte, als sie sich aufrichtete.
    Sie trug keine Uhr. Das Licht der Nachttischlampe stach ihr schmerzhaft in die Augen, aber sie konnte nun wenigstens die Uhr sehen: 6 Uhr 30. Eine Hand vor die Stirn gepreßt, schleppte sie sich ins Bad und litt nicht nur unter dem Katzenjammer, sondern auch noch unter der Depression wegen des gestrigen Fiaskos. Während sich in ihrem Zahnputzglas drei Schmerztabletten auflösten, blinzelte sie in den Spiegel. »Heiland«, sagte sie zu dem verschwiemelten, übernächtigten Gesicht, das sich zu einer Grimasse des Selbstmitleids verzerrte. »Du siehst heute morgen wirklich miserabel aus.« Sie hatte die Gewohnheit, Selbstgespräche zu führen, weil Huntley sie häufig für längere Zeit allein ließ. Aber diese Gewohnheit war auch teilweise auf ihre bewußten Sprechübungen zurückzuführen. Sie hatte sich dadurch ein Ventil geschaffen, daß sie immer dann, wenn sie allein war, lange, sehr ehrliche und oft obszöne Monologe führte. Letzte Nacht war nun alles schiefgegangen.
    Sie trank das Aspirin und schüttelte sich. Sie hatte im besoffenen Zustand alles mögliche zu Eddi King gesagt … Und sie hatte ihm sogar ein Angebot gemacht. Mühsam stolperte sie zurück ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett sinken. Wenn er Huntley etwas davon erzählte … Wenn jemand sie zusammen mit King in der Bibliothek gesehen hatte und Huntley berichtete, daß sie betrunken war und dieses Luder beschimpfte … Es war zuviel für Dallas. Sie rannte ins Bad und übergab sich. Ihre Kopfschmerzen wurden dadurch schlimmer, aber dafür beruhigten sich die Nerven. Huntley durfte es nicht erfahren. Seine Nichte durfte nie dahinterkommen, was Dallas über sie geäußert hatte. Sie mußte King dazu überreden, den Mund zu halten. Aber wie? Wie zum Teufel sollte sie das anstellen? Sie verfluchte sich selbst wegen ihrer Unbeherrschtheit und weinte ein bißchen und hörte dann auf, weil ihr einfiel, daß sie ohnehin schon ziemlich ramponiert aussah. Was soll ich mit King machen? Das war die Frage, die ihr ständig durch den Kopf ging. Am nächstliegenden war es wohl, das Angebot der letzten Nacht zu wiederholen. Aber er hatte sie abgewiesen. Er hatte sie abgewiesen, als sie betrunken und verheult zu ihm kam – vielleicht überlegte er sich's anders, wenn sie nüchtern und zurechtgemacht war. Eine sehr riskante Sache, aber ihr Körper war das einzige Zahlungsmittel, das Dallas je besessen hatte. Ihn verstand sie einzusetzen. King konnte kaum zu Huntley gehen und ihm erzählen, er hätte ihn mit seiner Freundin betrogen. Das war etwas ganz anderes, als wenn er berichtete, er hätte ihr eindeutiges Angebot zurückgewiesen.
    Sie ging wieder ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Dann nahm sie neue Schmerztabletten, weil sie die erste Dosis in die Toilette gespült hatte, und begann mit einem sehr sorgfältigen Make-up. Sie zog den einteiligen Pucci-Anzug aus und streifte dafür ein duftiges, durchsichtiges Nachthemd über, das ihr besser gefiel. Den meisten Männern übrigens auch. Sie nahm ein wenig Parfüm, sprühte Haarnetz auf ihre Frisur und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht sah immer noch enttäuschend aus, aber um sieben Uhr morgens kann man nicht mehr verlangen. Alles andere war gut wie immer. Sie ging dieses Risiko wirklich nur aus purer Verzweiflung ein. Letzte Nacht hatte sie den Mund zu weit aufgerissen und sich völlig in Kings Hand gegeben. Männlicher Großmut zu vertrauen widersprach Dallas Jays bisherigen Erfahrungen. Die

Weitere Kostenlose Bücher