Der mieseste aller Krieger - Roman
nicht. Am Ende lag das Geld auf der Theke – nachdem der Mann hatte wissen wollen, wohin er die Schublade auskippen solle, und ich gesagt hatte, das sei egal. Da lag nicht viel vor mir, aber ich hatte noch nie eine solche Menge gesehen, und alles sollte für mich allein sein, ohne dass Sofanormich wegen meiner Feigheit verspottete. Meinen Gesichtsausdruck muss der Mann in dem Moment als blankes Entsetzen gedeutet haben, jedenfalls fing er hektisch an, Geld aus seinen Taschen hervorzukramen, und legte dann noch Ringe und Goldketten hinzu, weil ich nur wortlos seinen Gesten folgte, und er dachte, ich erwartete noch mehr. Als ich nach wenigen Sekunden, die mir wie Stunden vorkamen, wieder reaktionsfähig war, stopfte ich mir so viel wie möglich in die Taschen und ergriff überstürzt die Flucht. Wie ich dir bereits erzählt habe, Benito, versteckte ich die Beute zwischen den Felsen am Meer, gegenüber dem legendären Felsentor von Antofagasta. So wie ich es bei Sofanor gelernt hatte: »Wenn sie dich schnappen, darfst du kein Diebesgut bei dir haben, damit sie dir nichts nachweisen können.«
Ich weiß noch, wie ich Flor die Bluse kaufte, wie glücklich sie war, als sie sie anprobierte und wie sie mich mit Küssen überhäufte. An dem Tag kochte sie ein Gericht mit rotem Pfeffer. Doch die Freude währte nur kurz, denn schon bald tauchten zwei Carabineros auf, die uns das Fest verdarben und mich abführten. Der Juwelier hatte mich angezeigt, und ich war leicht ausfindig zu machen, da man sich in Antofagasta kannte und ich unmaskiert gewesen war. Ich erinnere mich nicht mehr an die Schläge, die sie mir verabreichten, damit ich gestand, wo ich die Beute versteckt hatte. Die Beliebtheit von Sofanor und der Inglesa in den Hafenstädten des Nordens gereichte mir in dieser Situation zum Vorteil, denn irgendwer behauptete,ich gehöre zu ihrer Bande. Woraufhin der Juwelier sich in seiner Aussage gegen mich wohlgesinnt zeigte, so dass man mich nur zu einem Jahr Haft verdonnerte. Dem Gefängnis verdanke ich übrigens die Kunst des ausweichenden Blickes, meine spöttischen Mundwinkel und einen von schlechten Gedanken vergifteten Geist.
Nie habe ich Flor verraten, wo sich der Schatz befand, mit dem sie die Kaution hätte bezahlen können. Ich gehörte nicht zu denjenigen, die sich kasteien und Besserung geloben oder turnusmäßig heilige Kerzen entzünden. Ganz und gar nicht. Das überließ ich denen, die litten und immer wieder über denselben Stein stolperten. Als ich den Knast verließ, war mein erster Impuls, Flor auf dem Markt zu besuchen. Ich sehnte mich danach, meine Nase an ihrem Hals zu vergraben, um ihren frischen Duft nach Wiesenblumen zu schnuppern. Doch dann besann ich mich und hängte mich an einen Lastwagen, der nach Iquique fuhr. Der Fahrer muss mich für schwachsinnig gehalten haben, als ich in dieser kargen Gegend abstieg. Und, ehrlich gesagt, war ich mir selbst nicht mehr ganz sicher, ob ich die Stelle, an der die Beute versteckt war, überhaupt wiederfinden würde. Gegenüber dem Felsentor von Antofagasta suchte ich zwischen den Gesteinsspalten nach der Flasche mit den zusammengerollten Geldscheinen. Als ich sie schließlich fand, überfiel mich ein Gefühl der Erleichterung, das ich nur schwer in Worte fassen kann. Ähnliches empfand ich, als Flor mir ihre bedingungslose Unterstützung für das Arche zusicherte – eine absurde Idee, dochviele Dinge klingen absurd, bevor man nicht wagt, sie in die Tat umzusetzen. Ich war bereit, bis aufs Letzte für das Bordellschiff zu kämpfen, von dem ich Flor so viel erzählt hatte, wenn sie mir Bücher in den Knast brachte. Das waren unvergessene Zeiten. Ich war dreißig und deine Großmutter zehn Jahre jünger, Benito. Ich betrachtete den weiten Horizont über dem Meer. Mein erdfarbenes Gesicht schien den gesamten Straßenstaub aufgesogen zu haben, weshalb ich den Kopf in eine Salzwasserlache tauchte. Ich weiß nicht, warum es mir so schien, als sei der Pazifik mit einem Mal rotgefärbt. Mag sein, dass ich auf einen Moment blickte, der noch keine Erinnerung war und es auch nicht hätte werden sollen.
Iquique, Juni 1973
Die Tita war vom Jurastudium zur Literatur übergewechselt, vielleicht unter Carmelos Einfluss, der so gerne ihrer melodischen Stimme lauschte, wenn sie laut vorlas. Für ihn waren alle Wörter von gleicher Wichtigkeit. Er liebte es, ihr zuzuhören. Als Komparsin in seinem Gefolge verbrachte die Tita zwischen Schlaghosen und Marihuanaqualm ein ganzes
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