Der mieseste aller Krieger - Roman
Ihre Angehörigen wurden ins Nationalstadion überführt«, unterbrach sie der Polizeihauptmann ungeduldig.
»Mein Mann war dort, hat sie aber unter den Inhaftierten nicht gefunden«, widersprach die Trini.
Nun meldete sich Sergios Kusine zu Wort und appellierte an das Mitgefühl des Polizeihauptmanns.
»Bitte, Señor, wir wissen, dass an jenem Abend drei Personen festgenommen wurden, die man später in der Nähe der Brücke über dem Elqui-Fluss erschossen hat. Ich will mir gar nicht vorstellen, dass es sich dabei um unsere Verwandten handelt. Wir sind gläubige Katholiken. Unsere Familie hat sich nie in die Politik eingemischt.«
»Ich kann nur wiederholen, Señora, dass wir nichts damit zu tun haben. Die besagten Personen wurden in Coquimbowegen Trunkenheit am Steuer festgenommen, Sie können also beruhigt nach Hause gehen«, behauptete Rodríguez.
Die Trini versuchte erneut, Einspruch zu erheben, sie wollte sich von niemandem verschaukeln lassen, doch die Militärs forderten sie auf, die Wache zu verlassen – man wollte die Liste ja nicht noch verlängern. Wenige Tage später wurde die Identität der Leichname im Institut für Rechtsmedizin festgestellt. Die Ergebnisse bestätigten, dass es sich um Erasmo, Freirina und Vetter Alberto handelte. Der Familienname Alzamora stand neuerdings für gefährlichen Terrorismus: In der Tagespresse erschienen Fotos von dem angeblichen Waffenarsenal der drei unter der Brücke am Elqui-Fluss, und es wurde von heimlichen Plänen für Anschläge berichtet, die sie vorbereitet hätten. Niemandem in der Familie erschloss sich die Logik der Fakten, wie auch, sie waren eine Finte der Mächtigen. Sergio zermarterte sich den Kopf, warum sie auch Freirina festgenommen hatten, obwohl sie gar nicht mit Erasmo und Alberto im Auto gesessen hatte. Erst sehr viel später sollten sie begreifen, dass das verbindende Element der Familienname Alzamora war – den sie alle trugen.
»Der allmächtige Gott wird es richten und für Gerechtigkeit sorgen«, sagte Alzamora.
Dabei wussten alle, dass es Bereiche gab, wohin Gott niemals einen Fuß setzen würde.
Paitanás, 10. Dezember 1973 – 2. Januar 1974
Ich folgte deiner Mutter ins Grab. Zwischen unserem Sterben lagen exakt vierundneunzig Tage. Nicht eine Stunde mehr. Als verdammte Seelen verließen wir in Reih und Glied den Zug in Richtung Sandgrube, schliefen im Stehen ein, um nicht zu sagen auf den Knien, wie gut schlief man doch auf den Knien, den Kopf in den Händen. Gleich darauf erfolgte der Genickschlag, dazu das höhnische Gelächter des Satans, das mir in den Ohren dröhnte, die ratternden Karabiner- oder Gewehrsalven, die fern klangen, aber vielleicht direkt über mir waren und mich zerschmetterten. Sandloch nennen sie es, Benito. Wir sagen Massengräber. In Pisagua wurde gefoltert, nicht etwa, um die Gefangenen tatsächlich zum Singen zu bringen, sondern um zu erzwingen, dass man Blankogeständnisse unterschrieb. Die sollten dem Ankläger später als schlagender Beweis vor einem Militärgericht dienen, das seine Entscheidungen bereits vor dem Prozess gefällt hatte.
Anfang Januar verließen gut fünfzig Gefangene das Handelsschiff Maipú , darunter die Tita und Carmelo. Jeder, der einer militanten Gruppierung angehöre, so verkündeten sie, werde erschossen. Man werde die Subversiven auf der Stelle exekutieren, und falls sie noch einmaldavonkämen, würde man sie foltern und dann ermorden. Damit setzte man nur die Tradition fort, die grausame Regime seit jeher praktizieren.
Tita und Carmelo waren die Ersten, die aufflogen. Sie hatten Propagandamaterial der revolutionären MIR in ihrer Kleidung versteckt. Das erfuhr Flor jedoch erst viel später von einer Familie, die im gleichen Zug nach Santiago gereist war wie deine Eltern. Offiziell wurde man von niemandem informiert. So war das, Benito. Man wurde nicht informiert, die Leute verschwanden einfach so. In den Zügen wurden die Frauen von den Männern getrennt, nicht etwa, um sie besser zu behandeln, ganz im Gegenteil. Man trennte sie, damit sie sich nicht gegenseitig stützen konnten, damit die Frauen sich nicht beschützt fühlten und zusammenbrachen, bis sie am Ende gestanden. Ihre Männer klopften sie ebenfalls mit dem Los der Isolation weich. Mit Vorliebe rissen sie Paare auseinander und hielten sie tagelang in Einzelhaft, um ihnen Zeit zum Nachdenken zu lassen, bis sie von panischer Angst gepackt, beim Verhör einknickten. Es war vollkommen sinnlos zu sagen, man wisse
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