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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht dummerweise einfallen, dass ich früher gern zu ›Bilitis‹-Musik
     von Francis Lai gevögelt hatte und nun wirklich kein ausgewiesener Fachmann darin war, große Gefühle von pompösem Kitsch zu
     unterscheiden. Da waren sie wieder, die bösen Geister. Sie machten es mir schwer, diesen Moment auszukosten; einfach nur zu
     glauben, dass das Leben manchmal Überraschungen auf Lager hat, für die es keine Gegenleistung erwartet. Ich weiß nicht, wie
     lange wir uns küssten und streichelten und wie lange wir in vollkommenem Einklang atmeten (was mit Abstand das Intimste war,
     das wir taten), bevor wir den Sex unseres Lebens hatten (was zumindest für mich gilt). Ich halte nichts von diesem tantrischen
     Verzögerungsklimbim, wo mit Hilfe von Beckenbodentraining und technischen Kabinettstückchen auf Zeit gespielt wird, bevor
     die Energie endlich fließen darf. Doch was Magdalena und ich an diesem Tag in unserer Höhle veranstalteten, kam dem schon
     verdammt nahe. Es war ein Mix aus der unerträglichen Leichtigkeit des Seinsund der Entdeckung der Langsamkeit, und das alles ohne ein Wort und die Last strategischer Planerfüllung. Wir fieberten ineinander,
     anders war es nicht zu beschreiben.
    »Na dann«, sagte Magdalena irgendwann, nicht mehr, und es klang neutral. Ich zögerte noch ein paar Minuten, doch dann stand
     ich auf und tastete mich zur Tür. Kurz vor 23   Uhr.
    »Wir sehen uns!«, sagte ich zum Abschied, und da lachte Magdalena.
    »Du hast mich doch schon oft gesehen«, antwortete sie.
    Nur einer von uns beiden lag richtig.
    ***
    Als Magdalena mich fand, war Daniel Glattauers Bestseller ›Gut gegen Nordwind‹ noch nicht erschienen. Die gefährlichen Sollbruchstellen
     einer
Internetbeziehung
musste man 1998 noch persönlich ausforschen. Es waren nur ein paar Worte, die Magdalena mir schrieb, aber sie reichten aus,
     um mein Interesse zu wecken.
    »Hallo
Stiles,
dein Profil gefällt mir. Wo hast du es anfertigen lassen? Ich denke auch darüber nach, meine Persönlichkeit ein wenig aufzupeppen.«
    Das war natürlich frech. Aber auch schlau, denn alles, was ich auf »Got’ you« über mich geschrieben hatte, war Teil einer
     kleinen, privaten Kampagne zur Vermarktung einer Person, die nicht mal meine Mutter wiedererkannt hätte. Magdalena schnallte
     das instinktiv, und ich leugnete gar nicht erst. Stattdessen bot ich ihr an, auch ihr Profil zu überarbeiten.
    »So wie du dich darstellst, melden sich nur ein paar Matrosen und St.-Pauli-Nostalgiker bei dir!«
    »Und wenn schon«, antwortete Magdalena, »Streuverluste habe ich dann jedenfalls keine.«
    Magdalena (ihr Pseudonym lautete:
Dummy77
) liebte offenbar die Elbe und den Hamburger Hafen, ihr Foto mit den dunklen Strähnen vor dem Gesicht, dazu auch noch aus
     einiger Entfernung im Profil aufgenommen, war weniger ihr Abbild als ein vages Versprechen. Die Landungsbrücken waren deutlicher
     zu erkennen als Magdalena. Sie wirkte auf eine rührende Weise verloren in dieser Umgebung, dick eingepackt in den blauen,
     unförmigen Seemannsmantel, so als ob sie gleich auf einem der Schiffe verschwinden und lange nicht mehr zurückkehren würde.
     Ihr Lieblingsort in Hamburg sei die »Strandperle« und ein Laden namens »Hafenklang«, viel mehr verriet sie nicht über sich.
     (Heute denke ich: Ihr Profil war noch smarter durchdacht, als es den Anschein hatte – ich kam ihr vom ersten Moment an nicht
     aus.) Sie hatte nur eine der 100   Fragen beantwortet, mit denen »Got’ you« seiner Klientel ein Forum bot, sich darzustellen. »Bist du tendenziell ehrlich?«,
     lautete die Frage. Magdalena hatte geantwortet: »Nein. Und damit erübrigt sich die Beantwortung aller anderen 99   Fragen.«
    Das war nicht unbedingt die virtuelle Visitenkarte, auf die Jungs in der Regel stehen, doch Magdalena wollte es genau so,
     ein wenig mysteriös und unverbindlich.
    »Die Bausparer sind sowieso nicht meine Zielgruppe«, schrieb sie mir auf meinen spöttischen Hinweis. Ich hatte keine Ahnung,
     wer stattdessen zu ihrer Zielgruppe gehörte, und sie selbst hatte keine Lust, das näher auszuführen.
    »Ich bin doch nur ein kleines Störfeuer auf diesem Date-Planet   … ☺«, antwortete sie kryptisch.
    Zwischen Magdalena und mir entwickelte sich aus einem harmlosen Geplänkel ganz langsam und nahezu unmerklich eine Freundschaft
     – allerdings ausschließlich online. Manchmal schrieben wir uns nur einmal am Tag, an anderen Tagen dreimal in der Stunde.
     Nie ging

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