Der mieseste Liebhaber der Welt
es in unseren kurzen Botschaften um die Möglichkeit, dass wir beide uns näherkennenlernen würden, jedenfalls nicht da draußen in der richtigen Welt. Wir lachten über das, was uns bei »Got’ you« passierte,
wen wir dort trafen und wie unsere Offline-Dates abliefen. Magdalena wurde mein bester Buddy. Mein Tag begann mit einem Blick
in den Computer und er endete auch dort, bei
Dummy77
. Irgendwann wurde es zu offensichtlich, um sich noch länger etwas vorzumachen. Ich registrierte, dass mich meine lockeren
Affären in der richtigen Welt zunehmend weniger interessierten. Stattdessen dachte ich immer häufiger über Magdalena nach.
Als wir den Jahrestag unserer Freundschaft »feierten«, spielten wir zum ersten Mal mit der Idee, uns zu sehen, auf ein paar
Worte und ein Getränk. Doch schon die Möglichkeit schreckte uns beide so sehr, dass wir sie schnell wieder verwarfen. Das
Risiko schien uns viel zu groß zu sein. Ihr zumindest.
»Was ist, wenn wir uns in einem Café treffen und scheiße finden?«
»Wieso sollte das passieren? Wir kennen uns jetzt ein Jahr – die Möglichkeit, dass ich dich nicht mögen würde, liegt bei zwei
Prozent! Oder weniger.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt. Vielleicht rieche ich ja komisch oder ich erinnere dich an eine alte, warzige Tante von
dir – es wäre nicht mehr dasselbe.«
»Oder du bist einen halben Meter größer als ich.«
»Wäre wohl ein Problem, was?«
»Na ja, nein.«
»Lass uns noch mal in Ruhe darüber nachdenken.«
»Okay, wie du willst.«
Was anderes blieb mir ja auch nicht übrig. Ein paar Wochen sprachen wir nicht mehr über ein mögliches Treffen, doch so ganz
ließ sich der heimliche Wunsch nach mehr … nach irgendwie MEHR nicht verleugnen. Unsere Briefe wurden eckiger, die ziellose Unschuld unserer früheren Begegnungen verlor
sich immer mehr.
»Wovor hast du Angst?«, fragte ich Magdalena.
»Einen Freund zu verlieren?«, lautete ihre Antwort.
»Einen Freund, der vielleicht nur in deinem Kopf existiert?«
»Was ist gegen eine Illusion einzuwenden, wenn sie mir so gute Gefühle macht?«
»Was wäre, wenn die Illusion in der Lage wäre, dir gute Gefühle zu machen –
und
dich im Arm zu halten, damit du warm durch die Nacht kommst?«
Daraufhin schrieb Magdalena mir zwei Tage nicht mehr, bevor sie mir eine kurze Notiz zukommen ließ: »Sonntag, Café Engel,
15 Uhr. Sei einfach da.«
Drei Tage vorher schon quälte mich mein nervöser Magen, ich konnte nichts mehr essen, keine fünf Minuten konzentriert arbeiten.
Ich realisierte zwischen Freitag und Sonntagmittag, dass Magdalena inzwischen alles über mich wusste, dass ich ihr ausnahmslos
alles gesagt hatte, was mich bewegte. So eine Freundin hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt. Und auch keinen Freund.
Vermutlich war Maria in meiner Schulzeit die letzte Person in meinem Leben gewesen, der ich so bedingungslos vertraut hatte.
Ich wollte sie nicht verlieren. Die Angst war größer als die Neugier. Ich verweigerte wie ein Pferd vor dem Wassergraben.
Ich ging einfach nicht hin zu unserem Treffen im »Café Engel«. Ich versuchte noch, ihr eine Mail zu schicken, doch Magdalena
war offline. Und sie blieb es auch. Fast eine Woche lang hörte ich nichts mehr von ihr, dann nahmen wir unseren Briefverkehr
wieder auf, als ob nichts gewesen wäre. Erklärungen waren überflüssig. Auch Magdalena war nie im »Café Engel« erschienen.
Wir waren einfach noch nicht so weit. Oder wir würden nie so weit sein. Würde man sehen.
Als Magdalena mir schrieb, dass sie jemanden kennengelernt hatte, traf mich das mit der Wucht eines Medizinballs in der Magengrube.
Bisher war ich immer derjenigegewesen, der seine Netzbekanntschaften gepflegt und mit Magdalena gemeinsam seziert hatte. Das schien ihr nichts auszumachen,
jedenfalls verlor sie nie ein Wort über meine amourösen Achterbahnfahrten, das über Vergnügen und Neugier hinausging. Eifersucht?
Keine, soweit ich das beurteilen konnte. Aber als Magdalena von Henner berichtete und andeutete, dass da mehr sein könnte
als ein paar gemeinsame CDs im Regal und drei Promille am Abend, spürte ich, dass
ich
nicht so cool bleiben konnte. Ich versuchte es ein paar Tage, aber es hatte keinen Sinn. Wenn ich anfing, auch bei Magdalena
meine erprobte Maske aus Indifferenz und Lässigkeit aufzulegen, wären wir innerhalb kürzester Zeit nur noch eine dieser wachsweichen
Bekanntschaften, die man pflegt oder auch
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