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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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einiges mehr hatte ich ihr noch sagen wollen. Auch: Wie viel mir meine Erinnerungen bedeuteten. Dass ich mich – dank ihrer Hilfe – immer öfter und immer deutlicher erinnerte, etwa an meine Schulzeit und an meine Kindheit und an vieles mehr. Dass mit jeder weiteren Erinnerung, die zu mir zurückkam, immer noch weitere Erinnerungen dazukamen, Erinnerung auf Erinnerung. Dass ich manchmal nicht wusste, ob die Erinnerungen zu mir kamen oder ich zu meinen Erinnerungen kam. Dass ich eine Sehnsucht nach Erinnerungen hatte. Dass ich mich in mancher Hinsicht jetzt vielleicht sogar besser erinnern konnte als vor dem Unfall … Und wie dankbar ich ihr dafür war, dass sie, Frau Wolkenbauer, sich für meine Erinnerungen überhaupt interessiert hatte; dass sie sich meine Erinnerungen angehört oder meine Erinnerungen in meinem Notizheft gelesen hatte. Manchmal war sie stundenlang neben mir gesessen, so als hätte sie alle Zeit der Welt, selbst für die kleinsten Erinnerungen … Und ich wollte ihr noch sagen: Wie sehr mir ihr Name gefällt. Frau Wolkenbauer. Dass ich noch nie einem Menschen mit einem solch schönen Namen begegnet bin. Das wollte ich ihr noch sagen.
    Am nächsten Tag hielt März um 13 Uhr eine Ansprache an alle Mitarbeiter der Klinik. Er dankte, er lobte, er stellte in Aussicht: zum Beispiel einen neuen Operationssaal für die Klinik oder einen zweiten Landeplatz für Hubschrauber – und einiges mehr. Neben mir saß Hannah mit ihrer Reisetasche auf ihrem Schoß. Ihre Tasche war mit all meinen Reden bepackt: kurze Reden und lange Reden, freundliche Reden und deutliche Reden, Schicksalsreden und Beschwichtigungsreden, wichtige Reden und weniger wichtige Reden. Hannah flüsterte mir ins Ohr: political play-back . Teils aufmunternd, teils abfällig flüsterte sie das. Und sie öffnete einen Schlitz ihrer Tasche und zeigte mir, während März immer noch sprach, die CDs meiner wichtigsten Reden. Sie waren mit Ausrufezeichen versehen. Es seien gute Reden, so Hannah. Nach allen Regeln tontechnischer Kunst geschnittene Reden. Auf der obersten CD stand geschrieben: Rede Sonderparteitag. 51 , 07 Minuten. Das war meine heutige Rede. Ich solle mir keine Gedanken machen, flüsterte sie in mein Ohr.
    Wie auf einer Abiturfeier. In einer ähnlichen Feierlichkeit saßen wir nebeneinander. Besonders Hannah und ich. Als wären wir Schulfreunde. Und ich sah nun (statt März) unseren früheren Schulleiter vor uns. Wie unser alter Schulleiter vor Jahrzehnten in unsere Schulaula getreten war und zur Feier unseres Abiturs eine Rede gehalten hatte: vor Schülern, vor Lehrern, vor Freunden und vor Eltern. Auch vor meinen Eltern, die zur Verleihung meines Abiturs gekommen waren. Zunächst hatte der Schulleiter damit begonnen, alle anwesenden Abiturienten zu begrüßen, auch diejenigen Abiturienten, die das Abitur leider nicht bestanden hatten. Mein Vater, der schwerhörig war, er verstand das anders. Er verstand das damals so, dass der Schulleiter eigentlich ihn begrüßte, Bertram Urspring, obgleich der Schulleiter extra die Abiturienten begrüßte, die das Abitur leider nicht bestanden hatten. Doch für meinen Vater schien es außer Frage zu sein, dass man eigens ihn begrüßte. Also erhob er sich und grüßte den Schuleiter mitten in seiner Ansprache zurück. All das war unendlich peinlich …
    Hannah flüsterte mir zu: Ob ich ihre Bücher gelesen hätte? Und ich antwortete: Einige wenige Seiten. Und ich versprach ihr: Ich werde versuchen, mich zu bessern. Schon während der Wahlkampfreise. Und sie glaubte mir kein Wort.
    Applaus und Blumensträuße: Blumensträuße des Staatsministeriums an das Klinikpersonal sowie Blumensträuße der Klinikleitung an mich und an das Staatsministerium – und auch an Hannah, die sich darüber tatsächlich freute. Dann schaute März auf die Uhr: Dass es höchste Zeit sei, so März, der nun aufstand und uns alle zum Aufbruch mahnte. Wir gingen Richtung Aufzug, fuhren mit den Sicherheitsbeamten und einigen ausgesuchten Ärzten auf das Dach der Klinik. Unser Hubschrauber wartete dort. Die Sonne schien. Ein Arzt sagte: Das sei Kaiserwetter. Und März antwortete: Er sei nicht unzufrieden mit dem Wetter. Der Pilot packte all die Blumen, die man uns geschenkt hatte, in den Hubschrauber. Und es kamen immer weitere Blumen dazu, von Pflegern, Ärzten und Patienten, die auf das Dach geeilt waren, um uns zu verabschieden und uns alles Gute zu wünschen, besonders für den Wahlkampf. Eine Pflegerin rief mir nach:

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