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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Ich winkte ihr zu. Dann fuhr ich los, um die Blumentröge herum, Richtung Rampe, die ich hinabfuhr, hinaus aus dem Bühnenlicht, hinein ins Dunkel entlegener Korridore, nach links, nach rechts, dann fuhren wir ins Freie, vorbei an einem Hausmeister, der sich noch verbeugte.
    Und ich fragte mich, als wir auf der Straße waren: Was jetzt geschehen solle? Wohin wir fahren würden? Wo ich übernachten würde? Was als Nächstes passieren sollte? Während Walter schon dabei war vorauszufahren, zuerst nach links, dann nach rechts, jedoch immer bergab. Die Anweisung von März: Alle Routen, auf denen wir fahren, gehen bergab. Damit die Fahrt des Ministerpräsidenten stets mühelos erscheine. So März. Und auch Frau Caillieux. Sie wartete im Wahlkampfbus. Er stand auf einem abgesperrten Parkplatz hinter einem Einkaufsmarkt. Dort fuhren wir hin. An Polizisten und Sicherheitsbeamten vorbei. Man nahm unsere Fahrräder entgegen. Sie wurden in ein Begleitfahrzeug gestellt. Dann führte man mich in den Wahlkampfbus. Ich streifte meine Radkleidung ab: Renntrikot, Fahrradbrille, Trinkflasche, Ärmlinge … Alles, so Frau Caillieux, könne man einem solchen Menschen vorwerfen, nur nicht, dass er gehbehindert sei. Sie reichte mir einen Pullover und gratulierte. Und auch März, der nun zu uns kam, er war zufrieden. Im Großen und Ganzen. Doch er setzte sich sogleich in eine Ecke des Busses, öffnete sein Notebook und studierte Umfragewerte. Blitzumfragen nach der Rede.
    Niemand studiere häufiger und genauer Umfragewerte, sagte eine Mitarbeiterin. Dass März, so die Mitarbeiterin, sogar im Urlaub täglich Umfragewerte studiere, ob ich das nicht wisse, fragte sie. Sogar als März einmal wegen einer Augenoperation im Krankenhaus gelegen hatte, studierte er Umfragewerte. Noch kurz vor der Operation und gleich nach der Operation. Umfragewerte. So als könnte es während der Operation, in einem Moment der Abwesenheit und Achtlosigkeit, zu gewaltigen Einbrüchen kommen. Ein Absacken sämtlicher Umfragewerte. Die Ärzte erteilten ihm strengstes Leseverbot. Doch März machte sich schon wenige Stunden nach der Operation davon, verließ sein Krankenbett, suchte nach einem Computer, entfernte sämtliche Binden von seinen Augen und studierte Umfragewerte. Nur ein kurzer Blick. Ein Überblick. Die Ärzte waren entsetzt. Das sei März, so seine Mitarbeiterin. Und er studierte nicht irgendwelche Umfragewerte, sondern meine Umfragewerte. Nichts auf der Welt sei ihm wichtiger als das.
    Der Bus fuhr bereits zu unserem nächsten Termin, zum Riedlinger Imkertag. Eine Abendveranstaltung, eine kleine Rede über Natur und Honig; mehr ein Winken als ein Reden; ein beiläufiges Anhalten auf dem Weg zu unserem Hotel, ein Hotel, das direkt an der Donau lag.
    Als wir in das Hotel kamen, schrie eine Mitarbeiterin auf: Der Ministerpräsident! Vielleicht war sie darauf nicht vorbereitet gewesen. Der Ministerpräsident! Oder sie war darauf vorbereitet gewesen und dennoch von dem Anblick überwältigt. Es ist der Ministerpräsident! Sie war nicht zu beruhigen, wurde in einen Nebenraum geführt. März wies mich an, ihr ein Autogramm zu schreiben. Sie nahm es schluchzend entgegen. Ohne mich anzuschauen.
    Beim Abendessen wurde Sekt getrunken. Und angestoßen: Auf die Parteitagsrede! Auf den Beginn des Wahlkampfs! Auf alle Beteiligten! März lief händereibend auf und ab, auch während des Essens. Er nickte, er dankte, er nahm entgegen: Gratulationen, Umfragewerte, Interviewanfragen … Eine große Rede. Sagte März über die Rede, und sagten auch das Radio und das Fernsehen über die Rede: eine große Rede. Dass selbst Zix das im Fernsehen eingeräumt habe: eine denkwürdige Rede. Wie kleinlaut, devot und reumütig er das gesagt habe. Und auch ich fragte nun Hannah, ob ihr die Rede gefallen habe? Sie antwortete nicht. Ihr schien die Frage grotesk. Wie ich ihr eine solche Frage nur stellen könne. Ob ihr die Rede gefallen habe? Was ihr daran denn hätte gefallen sollen? Die Tontechnik? Meine Lippenbewegungen? Meine Stimme? Meine Aussprache? Sie saß schweigend. Später sagte sie: Meine Stimme habe ihr in der Rede gefallen. Wenigstens meine Stimme.
    März stand auf und sagte: Es sei ein anstrengender Tag gewesen. Wir seien alle müde. Wir sollten zeitig zu Bett gehen. Es werde ein langer Wahlkampf werden.
    Ein Wahlkampf, der über Wochen ging. Täglich fuhren wir mit dem Wahlkampfbus. März las Zeitungen. Oft drei oder vier Zeitungen zur gleichen Zeit. Oder er telefonierte.

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