Der Ministerpräsident - ein Roman
Minuten dauern sollte. Hierzu brauchte sie Füllwörter und Füllsätze, nicht irgendwelche Füllsätze und Füllwörter, sondern Füllwörter und Füllsätze, die März akzeptieren würde. Zum Beispiel Formulierungen wie: Weil er nämlich … Etwa Oskar Saar. Weil er nämlich irrt, weil er nämlich behauptet, weil er nämlich sagt … Nicht: Er irrt, er behauptet, er sagt. Sondern: Weil nämlich . Weil nämlich dies, weil nämlich das, weil nämlich etwas anderes. März wollte das so. Wie auch das Wort zwar , das ich ebenfalls sprechen sollte. Und zwar dies, und zwar das, und zwar nämlich …
Hannah saß am Fußende meines Betts und hielt das Mikrophon. Sie sagte, es tue ihr leid, dass sie mich so spät noch bemühe. Sie brauche jedoch die Wörter noch diese Nacht, um die nächste Rede vorzubereiten. Sie räumte ein, dass das nichtssagende Wörter seien, die ich sprechen sollte. Und zwar. Es gebe kaum ein schlimmeres Wort als das Wort zwar . Wie viel Hässlichkeit in diesem Wort stecke. Und Unaufrichtigkeit. Dennoch sollte ich es bitte noch einige Male sprechen. Und zwar, und zwar … Sie hantierte an ihrem Aufzeichnungsgerät, das nicht richtig funktionierte. Deshalb musste ich die Wörter immer wieder neu sprechen. Und noch einmal. Und noch einmal. Sie schaute mich Wort für Wort an, um mir das zu erleichtern.
Sie suchte nach einem Mikrophon, das sie irgendwo abgelegt hatte. Sie konnte es nicht finden. Sie suchte es unter der Bettdecke. Sie suchte es unter dem Bett und sie suchte es unter dem Kissen. Sie entschuldigte sich. Weil ihre Hände mich streiften. Das tue ihr leid. Und sie suchte weiter nach dem Mikrophon, das sie nicht fand. Irgendwann sagte sie: Es sei nicht so wichtig. Es sei nur ein Mikrophon. Sie werde am nächsten Morgen weitersuchen.
Sie sagte: Es sei manchmal so kalt, wenn sie nachts an ihrem Computer sitze und meine Reden bearbeite. Und wenn sie zu Bett gehe, dann könne sie oft nicht schlafen. Manchmal sehne sie sich danach, neben einem Menschen einzuschlafen. Oder wenigstens nicht allein aufzuwachen. Sie suchte kein Mikrophon mehr. Ihre Hände streiften mich nicht mehr. Sie legte sich einfach zu mir – ihre Hände lagen nun zusammengerollt zwischen uns. Nach und nach öffneten sich ihre Hände. Oder sie begegneten sich mit meinen Händen. Ich wollte meine Hand zurückziehen, doch sie sagte: Das brauchst du nicht. Ich sollte meine Hand bewegen, wohin ich wollte. Sie sagte: Es sei mein Bett, in dem ich liege, also sei meine Hand frei. Es sei meine Hand, und sie habe keine Probleme mit meiner Hand. Dann schlief sie.
In manchen Nächten wachte ich auf, und sie war verschwunden. Es lag dann nur noch – wie zum Abschied – irgendein Kabel oder ein Mikrophon neben mir. Oder ich wachte auf, weil sie sich wieder zu mir legte. Weil sie in meinem Bett besser schlafen konnte. Oder weil sie fror. Oder weil sie sich in meiner Dusche die Haare gewaschen hatte. Ob mir das etwas ausmache? Es machte mir nichts aus. Im Gegenteil.
Ich werde nicht vergessen: Wie ihre nassen Haare tropften, wenn sie aus der Dusche in mein Bett kam. Sie tropften auf mich und auf das Bett. Oder wie ihr nasses Haar auf mich herabfiel, wenn sie sich zu mir beugte. Ihr Haar glich dann einem Wasserfall. Wir lagen darin umarmt wie in einem Versteck. Und mit einer einzigen Kopfbewegung flog ihr Haar wieder nach oben, gegen die Wand, und fiel dann wieder auf mich herab. Manchmal lagen wir zusammen, bis ihr Haar getrocknet war – und sie irgendwann aufstand und in ihr Zimmer ging.
Sie duschte sich bei mir, weil sie nicht alles allein verrichten wollte. Weil sie nicht immerzu allein duschen wollte, ohne die Andeutung eines anderen Menschen. Wenn sie duschte, dann verwandelte sich unser Zusammensein in ein Gefühl von Wind und Meer. Ich trocknete sie ab. So als käme sie direkt aus dem Wasser. Wir lagen am Strand. Sie stützte sich auf. Ihr Haar tropfte. Manchmal trieben wir stundenlang – wie auf Dünungen.
In manchen Momenten glaubte sie, März könnte hereinkommen. Jederzeit könne er hereinkommen. Sie konnte dann ihre Verlegenheit kaum verbergen und machte sich zurecht und suchte nach einem Mikrophon, um noch irgendwelche Wörter aufzuzeichnen. Für den Fall, dass März hereinkommen sollte. Deshalb sollte ich Wörter sprechen. Als ob wir uns damit irgendwie erklären könnten. Also sprach ich. Doch mitten in einem Satz konnte sie meine Hand nehmen und mich zu sich ins Bett ziehen.
Sie lag neben mir und sagte: Ich will endlich
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