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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gedanken woanders. Könnt Ihr Eure Frage noch einmal wiederholen?«
    »Ich wollte wissen, ob es solche Erzählungen auch in deutscher Sprache gibt?«

8.
    Mitte November setzten die Schneefälle ein und hielten bis weit in den Dezember hinein an. Die Handelsstraßen wurden für Ochsenkarren unpassierbar, so dass die Tore der Stadt meistens geschlossen blieben. Die Temperaturen
fielen weit unter den Gefrierpunkt, so dass die Bürger nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr vor die Tür traten.
    Hartmann lag eingehüllt in mehrere Wolldecken auf seinem Strohlager. Nachdenklich schaute er in das dunkle Gewölbe des Vorratsraumes, der für ihn geräumt worden war, damit er sich besser auf den Sängerwettstreit vorbereiten konnte. Aus dem Ofen fiel ein Streifen roten Lichts auf den Steinboden und an dieser Stelle schmolz das Eis in den Fugen.
    Der Artusroman des Franken ließ ihn einfach nicht los. Im Grunde war die Handlung einfach: Der Ritter Erec zog aus, um eine Beleidigung zu rächen. Dabei gewann er nicht nur Ansehen, sondern auch die wunderschöne Enide zur Ehefrau. Über die geschlechtlichen Wonnen vergaß er seine Pflichten und wurde von seinen Kameraden verspottet. Erneut zog er aus, um die Hochschätzung von Artus und den anderen Kriegern zurückzugewinnen. Erst nachdem er viele Bewährungsproben bestanden hatte, kehrte er an den Hof zurück und erwarb sich dauerhaften Respekt.
    Besonders interessant fand Hartmann, dass nicht der König, sondern der Ritter im Mittelpunkt stand. Außerdem war es erstaunlich, dass er nicht durch seine hohe Geburt, sondern allein durch seine Taten und seine Gesinnung Anerkennung errang. Wenn man dieses Prinzip in den Köpfen der Herrscher verankern könnte, würden noch mehr Männer von niederer Abkunft die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Handlungen auszuzeichnen.
    Hartmann wälzte sich auf die Seite und starrte die Mauer an. War es tatsächlich möglich, durch Schriften etwas
zu verändern? Wenn er genau darüber nachdachte, erschien ihm der Gedanke gar nicht so abwegig. Die Predigt von der Kanzel, die Heiligenviten und die theologischen Schriften strebten danach, die Gläubigen zu ermahnen und sie zum Handeln im christlichen Sinne anzuleiten. Die Epen und Heldenlieder schmeichelten den Fürsten und stärkten sie in ihrem Herrschaftsbewusstsein. Alles, was sich an ein Publikum wendete, verfolgte einen bestimmten Zweck - selbst wenn es nur der Unterhaltung diente oder die Selbstsucht des Künstlers befriedigte.
    Plötzlich wusste Hartmann, was er zu tun hatte. Er würde eine Nachdichtung von Erec et Enide verfassen. Sein Held müsste jedoch von gemeiner Abkunft sein. Dann würden die Fürsten erkennen, dass auch unfreie Ritter zu außerordentlichen Leistungen fähig waren. Oder nein - das wäre zu deutlich! Schließlich würde sich das Publikum auf dem Mainzer Hoffest ausschließlich aus Edelleuten zusammensetzen. Bestenfalls würden sie ihn auslachen, schlimmstenfalls würden sie seinen Kopf fordern. Wenn er wirklich etwas bewirken wollte, musste er mit Fingerspitzengefühl vorgehen. Vielleicht könnte er die vorgegebene Form einfach deutlicher zeichnen. In etwa so: Sogar als Sohn eines Königs musste Erec etwas leisten, um Ehre zu erringen! ja, dachte Hartmann, insoweit sind wir uns ähnlich, denn auch ich bin nur geduldet, solange ich meinem Herrn diene . Auf dem Mainzer Hoffest würden alle Mächtigen des Reiches sein. In ihren Köpfen könnte er die Botschaft verankern, dass nur derjenige etwas wert wäre, der sich durch seine Taten auszeichnete.
    Hartmann war plötzlich hellwach. Er schob die Decke von sich, tappte barfuß zum Eingang und schob die Felle
beiseite. Er stieg die Stufen empor und gelangte auf den Burghof. Der Schnee fiel in die Stille der Nacht. Obwohl er nur ein Hemd trug, spürte Hartmann die Kälte kaum. Er breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Weit sperrte er den Mund auf, so wie er es als Kind häufig getan hatte, und fing einzelne Flocken mit der Zunge auf.
    Hartmann war so erleichtert und zuversichtlich, dass er dieses schöne Gefühl gerne mit jemandem geteilt hätte. Er musste an Judith denken, die nur einen halben Tagesmarsch entfernt lebte. Als ihm klar wurde, dass sie unerreichbar bleiben würde und er auch sonst niemanden hatte, mit dem er vertraut umgehen konnte, wurde er sehr traurig.
    Sogleich ermahnte er sich zu mehr innerer Geschlossenheit. In den kommenden Monaten würde er seine ganze Geisteskraft brauchen, um mit

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