Der Minnesaenger
Du kannst mich nicht mehr einschüchtern, du ekelst mich nur noch an.«
»Aha!«
»Du bist hergekommen, weil du mich brauchst. Leider kann ich dich nicht fortjagen, aber ich werde Bedingungen stellen. Ansonsten kannst du dich zum Teufel scheren.«
August betrachtete sie aufmerksam. Seine Miene verriet
in keiner Weise, wie er über ihre Worte dachte. »Du hast natürlich Recht«, sagte er schließlich und lächelte milde. »Sei doch bitte so gut und sag mir, welche deine Forderungen sind. Ich verspreche dir auch hoch und heilig, dass ich mich an alle Abmachungen halten werde.«
7.
Zahlreiche Wandteppiche mit flandrischen Motiven hingen in der Kemenate von Ida von Boulogne. Im Kamin brannten Lindenscheite und verbreiteten eine mollige Wärme. Hartmann saß an einem kleinen Tisch und studierte ein Buch. Bunt gemalte Schlinggewächse schmückten die Anfangsbuchstaben einer jeden Seite. Auch die Miniaturen zeugten von einer großen Kunstfertigkeit.
»Man sieht sofort«, sagte er, »dass da ein Meister am Werk war.«
»Du willst mir nur schmeicheln«, erwiderte Ida.
»Nein, ich meine das vollkommen ernst. Aus meiner Klosterzeit weiß ich, dass ein einziger Fehlstrich den harmonischen Eindruck einer ganzen Seite zerstören kann. Diese kalligrafische Arbeit besticht durch eine Exaktheit in der Linienführung, wie ich sie selten gesehen habe.«
»Für jede Seite fertigte der Schreiber mehrere Entwürfe an und legte sie mir zur Auswahl vor.«
»Das sieht man«, sagte Hartmann und deutete auf eine Textstelle. »Wenn ich die Verse recht verstehe, muss ich sie so übersetzen: Am Ostersonntag, zur Wiederkehr der schönen Jahreszeit, hielt König Artus in seinem Schloss Cardigan Hof. Au jour de Pâques heißt also Ostersonntag? Ist das richtig, Herrin?«
»Du lernst schnell!«
Hartmann tauchte den Federkiel ins Tintenfass und kratzte mit der Spitze über eine Seite seines französischen Gesprächsbüchleins. Er hatte seine alte Gewohnheit wieder aufgenommen und notierte alle Vokabeln und Redewendungen, die ihm nicht geläufig waren.
In den vergangenen Wochen hatte der Herzog ihn häufig in Idas Kemenate geschickt, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sie hatte ihm von dem Heimweh nach Flandern erzählt und die Regeln des jeu d’amour erklärt, das sie zusammen mit jungen Adeligen und Spielleuten gespielt hatte. Bald war ihm jeder Troubadour der »Lustigen Gesellschaft« mit Namen, Lebenslauf und künstlerischen Anlagen bekannt gewesen. Immer wieder hatte Ida Stellen aus den Geschichten Chretiens de Troyes zitiert, die ihr ein geistiges Zuhause boten. Hartmann hatten sich die französischen Verse nur erschlossen, wenn er sie umgehend übersetzt hatte. Deshalb hatte es eine Weile gedauert, bis er die Schönheit der Zeilen erfasst und ihren Ausführungen mit erhöhtem Interesse zugehört hatte.
Bei einem Spaziergang hatte er Ida schließlich gefragt, ob sie die Bücher immer mit sich führen würde. »Natürlich!«, hatte sie gerufen. »Sie begleiten mich überallhin. Sie haben mir Gesellschaft geleistet bei Gerhard von Geldern, meinem letzten Gemahl. Auch bei meinem jetzigen und meinem nächsten und übernächsten...«
Aus Idas Bibliothek hatte Hartmann drei Bücher ausgewählt, mit denen er sich näher befasst hatte: eine Heiligenvita, La vie du pape Grégoire, die das Leben des Papstes Gregor behandelte und ihm aus seiner Zeit in der Klosterschule
aus lateinischen Bearbeitungen geläufig war, und zwei Rittergeschichten, Erec et Enide und Yvain, von dem Dichter Chretiens de Troyes. Manchmal, wenn er gerade in den Büchern geblättert hatte, war der Herzog zu ihm gekommen und hatte ihn mit Fragen bestürmt: Ob ihm denn schon etwas eingefallen wäre, wie er den Sängerwettstreit beim Kaiser gewinnen könnte? Ob er denn schon fleißig üben würde? Ob er noch etwas bräuchte? Einen Schreiber vielleicht für ein Heldenepos aus dem Lateinischen? Oder eine neue Harfe? Ob er denn gut vorankäme? Ob er denn, verdammt nochmal, endlich etwas vorzuweisen hätte? Hartmann hatte seinen Herrn beruhigt und ihm versichert, dass alles gelingen würde. Wenn der Herzog dann auf Krücken fortgehumpelt war, hatte Hartmann mit pochendem Herzen dagestanden. Obwohl er von allen Aufgaben befreit worden war, wusste er immer noch nicht, was er beim Mainzer Hoffest vortragen sollte.
»Gibt es solche Rittergeschichten eigentlich in der deutschen Sprache?«, fragte Ida.
»Entschuldigt, bitte!«, erwiderte Hartmann. »Ich war gerade mit meinen
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