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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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wunderbares Leben anfangen können, aber das Heimweh ließ mir keine Ruhe. So verkaufte ich alles und trat den Heimweg an - und jetzt stehe ich vor euch.«
    »Hat dich der Wegelagerer mit diesem Messer da verletzt?«, fragte der Sohn des Schäfers und deutete auf die Waffe. »Darf ich es mal anfassen?«
    »Wenn du möchtest - hier.«
    Agnes kniff die Augen erneut zusammen. August hatte das Messer schon die ganze Zeit in der Hand gehalten, aber seine Finger hatten den Hirschhorngriff verdeckt, so dass sie keine Details ausmachen konnte. Jetzt erkannte sie, dass von der Knochenstange drei Enden abstanden. Die weißen daumennagelgroßen Schnittstellen lagen in einer Reihe und sahen wie die Luftlöcher einer Flöte aus. Es konnte kein Zweifel bestehen. Fassungslos hob Agnes den Kopf.
    Seitdem der Hengst herrenlos auf ihrem Hof gestanden hatte, war sie zwischen Hoffnung undTrauer hin- und hergerissen gewesen. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass Dankwart etwas zugestoßen war, aber es gelang ihr einfach nicht, von ihm Abschied zu nehmen. Noch immer war er ein Teil von ihr, noch immer glaubte sie, ab und zu seine Stimme zu vernehmen. Es kam sogar vor, dass sie träumte, wie er die Hände nach ihr ausstreckte und sie um Hilfe bat. Dann erhob sie sich vom Bett und ging ziellos in der Stube umher. Manchmal musste ihre Schwiegertochter sie in den Arm nehmen, um ihr begreiflich zu machen, dass ihre Suche vergebens war.

    »Was hast du mit ihm angestellt?«, fragte sie und ging auf August zu.
    »Ah«, erwiderte dieser, »das Eheweib unseres Dorfschulzen ist auch da. Ich habe Dankwart noch gar nicht gesehen. Es würde mich freuen, ihn zu begrüßen.«
    »Wenn einer weiß, wo er steckt, dann bist du das. Dieses Messer gehörte ihm. Was hast du mit ihm angestellt?«
    »Ich bin mir sicher, dass dieses Messer nicht ihm gehörte. Wir sollten Leutfried fragen. Der treue Knecht wird schon wissen, ob es das Messer seines Herrn ist. Weiß einer von euch, wo Leutfried steckt?«
    »Er ist ebenfalls weg«, sagte ein Bauer. »Schon seit vielen Monden.«
    »Ts, ts«, machte August. »Die beiden verschwinden einfach und lassen euch ohne Schutz zurück? Das ist aber nicht sehr anständig.«
    »Das ist Dankwarts Messer«, sagte Agnes unnachgiebig. »Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Wenn dieses Messer tatsächlich Dankwart gehört hätte«, erwiderte August, »wäre er ein hinterhältiger Feigling. Willst du etwa behaupten, dass dein Ehemann ein hinterhältiger Feigling ist?«
    Agnes suchte nach Worten, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, aber ihr Kopf war wie leergefegt.
    »Schon gut«, sagte August großmütig. »In den vergangenen Jahren habe ich schon viel zu viel Zeit vergeudet, um mich auch noch mit derartigem Unsinn zu beschäftigen. Für die Zukunft muss ich dir aber raten, solche Unterstellungen zu unterlassen. Ansonsten bliebe mir nichts anderes übrig, als deinen Sohn Heinrich zu einem Gotteskampf zu fordern. Hast du verstanden?« Als er keine
Antwort erhielt, wandte sich August wieder den Bauern zu. »Was meint ihr? Ist meine Rückkehr Anlass genug für ein kleines Fest?«
    »Wir haben Euch so vermisst!«, sagte einer der Bauern. »Ja«, stimmten die anderen zu. »Dem Allmächtigen sei Dank, dass Ihr endlich heimgekehrt seid.«
    »Bei der Gelegenheit kann ich auch gleich nach meiner Ehefrau schauen«, sagte August. »Sie wird sich doch keinen anderen Mann genommen haben?«
    »Nein, Herr«, erwiderte der Bauer. »Wo denkt Ihr hin? Euer Weib ist sehr fromm.«
    Mit geballten Fäusten blieb Agnes im Heimgarten stehen und schaute der Gruppe nach. Sosehr sie ihr Hirn auch zermarterte, ihr fiel kein geeigneter Weg ein, um gegen den freien Bauern vorzugehen. Sobald sie etwas unternehmen würde, gefährdete sie ihren Sohn Heinrich, der alles andere als ein begnadeter Schwertkämpfer war.

6.
    Als Judith sah, wie sich ihre todkranke Mutter von Nachbarn auf den Hof tragen ließ, um den verlorenen Schwiegersohn in die Arme zu schließen, verlor sie erneut die Fassung und rannte zurück in den Wald. Sie konnte einfach nicht begreifen, warum die Leute August nicht durchschauten! Erkannten sie denn nicht, was für ein verlogener Schurke er war? Ließen sie sich von dem jovialen Gehabe so blenden?
    Bis Mitternacht streifte sie umher und quälte sich mit Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Schließlich suchte sie in einer alten Bärenhöhle Zuflucht, scharrte Blätter,
Astwerk und Erde zusammen und bettete sich auf das

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