Der Minnesaenger
Schlimmeres, aber der Geistliche fing sich wieder und sagte: »Mir scheint, dass sie bei dir in guten Händen ist. Ich werde eine Schüssel mit Habermus holen. Sie hat seit einer Woche nichts mehr gegessen.«
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste Judith, dass sie mit dem Mann gut auskommen würde. Er hatte erkannt, dass sie dem jungen Mädchen geholfen hatte, auch wenn er wohl nicht verstehen konnte, wie sie das angestellt hatte. Möglicherweise wollte er es auch gar nicht wissen, aber er respektierte den Erfolg. Für ihn zählte das Wohl der ihm anvertrauten Menschen mehr als die Dogmen der Heiligen Mutter Kirche.
2.
Für die Freiburger Bürger war August ein Unbekannter, dem man besser mit Misstrauen begegnete. Der Verkauf lief daher nur schleppend an. August hatte das Problem erkannt und bezahlte seit Wochen anständige Männer, damit sie in den Schänken, auf dem Markt und in den Badehäusern
lobende Worte über ihn verloren. Seine Strategie würde irgendwann aufgehen, nur musste das möglichst bald geschehen, weil er beinahe sein gesamtes Vermögen in den Einkauf von Waren gesteckt hatte.
So stand er wie jeden Morgen in der Früh vor dem Turmhaus. Als er auf der anderen Seite des Münsterplatzes eine Schar Bettler auftauchen sah, hätte er am liebsten den Schlagstock aus dem Haus geholt. Für diese Nichtnutze, Schmarotzer und Lasterbälger hatte er nichts als Verachtung übrig. Die gesunden Arme streckten sie nach Almosen aus, anstatt nach einer Arbeit zu fragen. Was wäre denn aus ihm geworden, wenn er je so faul gewesen wäre?
Irgendwie schaffte er es, sich ein seidenes Lächeln abzuringen. Er durfte nicht vergessen, dass Mildtätigkeit sein Ansehen mehrte. Als sich die Stimmen der Bettler zu einem geschäftsmäßigen Wimmern senkten, zog er mehrere Kupfermünzen aus dem Säckel und legte sie mit großen Gesten in die dreckigen Hände. Als eine reiche Bürgersfrau vorüberging - beladen mit ihren Einkäufen, die sie anderswo getätigt hatte -, hoffte er auf ein anerkennendes Nicken, aber die hohe Dame rümpfte nur die Nase und bog schleunigst um die nächste Häuserecke.
Die Bettler küssten seine Füße, und August musste an sich halten, um sie nicht in den Boden zu stampfen und sie damit die Kunde von ihrem Wohltäter nicht weiter verbreiten konnten. Er zweifelte nicht daran, dass schon morgen ihre Kumpane auftauchen und das gleiche Spektakel veranstalten würden. Trotzdem sagte er, besonders laut, damit zumindest die Nachbarn von seiner Mildtätigkeit erfuhren: »Ich kann euch nur mit irdischen Gütern helfen, aber noch viel wichtiger ist es, dass ihr den Glauben
nicht verliert. Wir alle schreiten durch das irdische Jammertal, um dem Allmächtigen zu beweisen, dass wir seine Prüfungen annehmen. Richtet eure Hoffnungen auf das himmlische Jerusalem, denn dort werden alle Menschen gleich sein.« Die einsetzenden Lobpreisungen stellten die letzte Herausforderung an seine Selbstbeherrschung dar, dann verzogen sich die Kreaturen endlich.
Ein gewichtiger Mann blieb stehen und August ließ sich beinahe zu einer Bemerkung hinreißen. Glücklicherweise fiel ihm gerade noch auf, dass der Mann nicht in Lumpen gehüllt war. Eine genauere Prüfung der Kleidung ergab, dass sie aus edlen Stoffen bestand. Über dem gewaltigen Bauch prangte eine Gürtelschnalle, die aus Silber geschmiedet war. Die fleischige Hand schloss sich um einen Stab, der die Farben der Zähringer trug, und endlich begriff August, wer da vor ihm stand.
»Hoher Herr«, sagte er schnell und verbeugte sich. »Was führt Euch an diesem nebligen Märztag zu mir?«
»Meinen Leuten wurde zugetragen«, erwiderte der Truchsess des Herzogs, »dass du über einen ausgesuchten Lagerbestand verfügst. Mein Herr will sich für das Mainzer Hoffest neu ausstatten, damit er den gewohnten Glanz verbreitet.«
August begriff sofort, was für eine einmalige Chance sich ihm bot. Berthold IV von Zähringen war nicht nur ein Fürst, der seine Gefolgsleute reich beschenkte, sondern auch ein Lebemann, der gerne im Prunk schwelgte. »Ich beziehe meine Waren aus Köln, Nürnberg, Würzburg und Mainz, aus Gotland, Livland, Damaskus und Ninive, aus Konstantinopel und Cordoba. Es wird mir eine Ehre sein, Euch alles zu zeigen.«
August bat denTruchsess zunächst in den Empfangsraum, wo er in die Hände klatschte. Ein Dienstmädchen, das von einer so betörenden Unschuld war, dass sich sogar seine Ehefrau über ihr Wesen täuschen ließ, eilte leichtfüßig herbei.
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