Der Minnesaenger
Stephan und brach einen Kanten Brot entzwei. »Ich mache mir große Sorgen um den Herzog. Seit unserer Ankunft ist er verschwunden. Gesundheitlich geht es ihm zwar besser, aber ein einziger Schlauch Wein könnte zu einem fatalen Rückfall führen.«
»Habt Ihr eine Ahnung, wo er stecken könnte?«, fragte Hartmann.
»Er war sehr enttäuscht vom Kaiser und ich befürchte das Schlimmste.«
»Worauf spielt Ihr an?«
»Hier lagern zwar die Schildnachbarn aus dem Italienfeldzug, aber die Zuweisung eines Zeltplatzes, der so weit von dem kaiserlichen Quartier entfernt liegt, kommt einer öffentlichen Demütigung gleich.«
»Ich werde ihn sofort suchen! Sobald ich ihn gefunden habe, gebe ich Euch Bescheid.«
Zuerst erkundigte Hartmann sich bei den alten Waffenbrüdern, Verwandten und Freunden. Hinterher teilte er ein Dutzend Soldaten ein, die jedem der Zelte in und um Kostheim einen Besuch abstatteten. Schließlich - der Mond hatte schon seinen höchsten Stand erreicht - ritt er mit einem Suchtrupp am Rheinufer Richtung Mainz. Die Luft war erfüllt vom knospenden Duft des Frühlings. Nach einem langen, kalten Winter erwachten die Lebensgeister und überall herrschte eine gefühlsschwangere Atmosphäre. Söldner stimmten wilde Schlachtgesänge an. Im Dickicht blitzten die nackten Leiber von Liebenden auf. Feuerschlucker spien Flammensäulen in die Nacht und religiöse Eiferer kündigten den nahen Weltuntergang an.
Plötzlich vernahm Hartmann ein brüllendes Gelächter, das er gut kannte. Mit einer Handbewegung befahl er den
Soldaten, ihm an den Rhein hinunter zu folgen. Am Flussstrand sprühte ein Lagerfeuer Funken in die klare Mainacht.
»Hartmann!«, rief sein Herr und kam ihm entgegen. »Wie ich mich freue, dich zu sehen. Komm und setz dich zu uns. Wir sind eine lustige Schar und jeder erzählt eine Geschichte. Du siehst hier nur fromme und gute Leute versammelt.«
Hartmann stieg ab und betrachtete die Kumpane seines Herrn. Im Feuerschein erkannte er Männer und Frauen, die er wegen der Flickengewänder der fahrenden Gesellschaft zuordnete. Einige Kerle trugen wilde Bärte und wirkten leicht reizbar.
»Was guckst du so?«, fragte der Herzog. »Ich schwöre dir, dass ich nur Wasser getrunken habe. Eines der Kinder ist extra nach Mainz gelaufen und hat es für mich aus dem Matthäusbrunnen geschöpft!«
»Ich glaube Euch ja, Herr!«
»Warum stehen wir dann noch hier herum? Komm mit, mein Freund!«
»Einen Moment noch!« Hartmann ging zu einem Soldaten und griff ihm in die Zügel. »Reite zurück ins Lager und überbringe Bruder Stephan die Nachricht, dass wir den Herzog wohlbehalten aufgefunden haben. Ich bleibe zur Sicherheit hier und gebe ihm später Geleit.«
Die Soldaten rissen die Pferde herum und Hartmann begleitete seinen Herrn ans Lagerfeuer. Schnell war die ausgelassene Stimmung wiederhergestellt. Der Herzog hatte so gute Laune wie schon seit Jahren nicht mehr. Er gestikulierte wild, lachte dröhnend und erzählte alte Kriegsgeschichten, bis er vor Müdigkeit nur noch blinzeln konnte.
Als Hartmann ihn schließlich zu seinem Schimmel führte, klopfte ihm der Herzog auf die Schulter. »Ich habe wohl gemerkt, dass du nur Wasser getrunken hast, um es mir nicht so schwer zu machen!«
Hartmann half ihm in die Steigbügel und wuchtete sich selbst in den Sattel.
»Es war wie früher«, sagte der Herzog. »Vor einer Schlacht waren wir immer so ausgelassen. Man nutzte jeden Moment, weil es der letzte sein konnte.« Auf der menschenleeren Straße ritten sie zum Zeltplatz zurück. Der Mond tauchte die Flusslandschaft in einen unwirklichen Schein. »Trotzdem hatte ich keine Angst vorm Tod«, fuhr der Herzog fort. »Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass der Herrgott mich abberufen könnte. Heute ist das anders.«
»Als ich in Euren Dienst trat«, erwiderte Hartmann, »wart Ihr so großmütig, dass ich Euch ewigen Dank schulde. Vielleicht habt Ihr Euch manchmal an die falschen Leute verschwendet, aber um Euer Seelenheil braucht Ihr nicht zu bangen. Der Allmächtige hat Eure edle Gesinnung längst erkannt. Deshalb könnt Ihr Eure Sorge voll auf diese Welt richten. Wenn Ihr die Ratschläge von Bruder Stephan befolgt, werdet Ihr noch viele Jahre leben.«
»In dieser herrlichen Nacht spüre ich, dass ich müde geworden bin. Die ständigen Reibereien mit dem Kaiser, der schändliche Verrat durch meinen Onkel - das alles zermürbt mich allmählich.«
»Herr...«
»Nein, nein, du kannst beruhigt sein. Ich
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