Der Minnesaenger
werde mir keine Blöße geben. Morgen werde ich ein prachtvolles Gewand tragen, eine junge Gemahlin am Arm führen und bewundernde
Blicke ernten. Morgen werde ich jedem den Kampf ansagen, der sich mir in den Weg stellt. Es ist nur die Stille der Nacht, die mir zu schaffen macht. Wenn ich daliege und in die Dunkelheit starre, tauchen oft seltsame Gedanken auf, deren Ursprung ich mir nicht erklären kann. Immer wieder quälen mich Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Im vergangenen Jahr bin ich mir nur über eines klar geworden: Ob wir arm oder reich sind, ob wir von einem gemeinen oder edlen Baum abstammen, ob wir die Taufe empfangen oder an den Propheten Mohammed glauben - wir alle gehen in die gleiche Ungewissheit.«
Hartmann half seinem Herrn aus dem Sattel und führte ihn zum herzoglichen Prunkzelt. Die Seitenwände bestanden aus weichem Samt, grün wie Gras, und aus kostbarer brauner Triblatseide und zeigten meisterhaft gearbeitete Stickereien von Wildtieren. An einer turmhohen Stange flatterte das Wappen der Zähringer, ein roter Adler auf goldenem Grund.
»Jetzt hast du dem trostlosen Geschwätz eines alten Mannes lange genug zugehört«, sagte der Herzog. »Beim Dichterwettstreit musst du ausgeruht sein. Ich wünsche dir eine gute Nacht - viel ist davon ja nicht mehr übrig geblieben.«
Hartmann verabschiedete sich von seinem Herrn und setzte sich zum Küchenpersonal ans Feuer, das schon die ersten Vorbereitungen für die Morgenmahlzeit getroffen hatte. Ein Junge schöpfte heißen Wein aus einem Kessel und reichte ihm einen dampfenden Becher. Hartmann umschloss ihn mit den Händen und lauschte dem Gespräch, das sich vorwiegend um eine Magd drehte, die früher im Gesindehaus neben ihm geschlafen hatte und mittlerweile
im Freiburger Bordell anschaffte. Irgendwann schulterte er seine Wolldecke und schweifte ziellos über das Festgelände. Um noch zu schlafen, war er viel zu aufgekratzt. Manchmal wiederholte er im Stillen die Verse seines Romans, manchmal verfiel er auch in die Gestik, die er für den Vortrag einstudiert hatte.
Angesichts desTrubels am Tag hätte er niemals für möglich gehalten, dass sich eine solche Stille über das Festgelände senken könnte. Schließlich stieg er eine Anhöhe hinauf, legte sich die Decke über die Schultern und setzte sich ins feuchte Gras. Mehrere Nebelbänke hoben sich aus den Flussauen und waberten zwischen den Zelten hindurch. Aus den Baumkronen erklang Vogelgezwitscher und endlich ging die Sonne auf. Der anbrechende Tag passte so gut zu seiner eigenen Stimmung. Auch für ihn würde mit der Dichterlesung etwas Neues beginnen.
4.
Am Pfingstsonntag begannen die Feierlichkeiten mit der Festkrönung des Kaiserpaares, die auf den Stufen der Kirche vollzogen wurde. Ein starker Wind kam auf und stürmte gegen die Holzwände. Als heftige Böen die Glocke zum Läuten brachten, bestand für das Volk kein Zweifel mehr: Sogar der Allmächtige klatschte Beifall. »Gepriesen sollt Ihr sein!«, erklang es aus tausenden Kehlen. »Hoch, Friedrich, hoch!... Lange sollt Ihr leben!« Die neu gekrönten Herrscher nahmen in einer Sänfte Platz und ließen sich von gold bestäubten Jünglingen zur aula, dem großen Festsaal, tragen. Friedrich Barbarossa trug eine mit Edelsteinen besetzte Krone. Das Kleid seiner
jungen Gemahlin leuchtete so weiß, dass mehrere Frauen in Tränen ausbrachen und lauthals dem Allmächtigen dankten, dass sie diesen Anblick erleben durften. Als das Herrscherpaar aus der Sänfte stieg und im Eingang verschwand, schwoll der Jubel zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen an.
Ein Gehilfe des Truchsess’ entrollte ein Pergament und rief die Gäste auf: »Otto von Bayern, Hermann von Baden, Ottokar von Steiermark, Konrad von Mainz, Konrad bei Rheine, Bernhard von Sachsen, Otto von Brandenburg, Otto von Meissen, Hermann von Baden...« Über einen roten Teppich folgten die festlich gekleideten Fürsten ihrem Kaiser. Ihre Frauen führten die neueste höfische Mode vor: Die Oberkleider waren aus grünem oder blauem Samt mit spannenbreiter Borte, die Schnittkanten waren mit Goldfäden eingefasst. In den Halsausschnitten steckte ein Brusttuch, das durch handbreite, mit funkelnden Rubinen besetzte Nadeln gehalten wurde. Der Oberstoff ihrer Umhänge bestand aus kostbarem Ziklat, das Futter ihrer Umhänge aus Hermelin und der Armelbesatz stammte vom Zobel. Angesichts solcher Pracht zweifelte niemand daran, dass dieses Fest noch in Jahrhunderten in aller Munde sein
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