Der Minnesaenger
bereits und befahl ihm, sich auf das Podest neben ihn zu stellen. Danach fragte der
Rotbart das Publikum, wen er auszeichnen solle. Als er auf Heinrich von Veldeke zeigte, klatschten die Edelleute wild in die Hände und schrien, so laut sie konnten. Als er im Anschluss auf Hartmann deutete, schwoll ein gewaltiger Jubel an, der durch das hysterische Kreischen zweier Edelfräuleins untermalt wurde.
Ratlos wandte sich der Kaiser an seine Ratgeber, aber diese konnten auch nicht sagen, welcher Dichter mehr Beifall erhalten hatte. So traf der Rotbart eine Entscheidung und überreichte Heinrich von Veldeke den Preis des Wettstreits, einen kostbaren Smaragddolch. Dann öffnete er seinen Gürtel, zog den eigenen Dolch mitsamt goldener Scheide vom Leder und überreichte ihn Hartmann. »Beide«, so rief er ins Publikum, »beherrschen dieVerserzählung in großer Vollkommenheit, so dass ich keinen Undterschied machen will. Und so sollen beide als Sieger des Wettstreits in die Chroniken eingehen.« Der Kaiser klopfte den Dichtern nacheinander auf die Schulter, schwang sich auf sein Schlachtross und galoppierte zu der Siegerehrung der Sänger, die ihren Wettstreit weiter stromabwärts austrugen.
Während Hartmann den Dolch fest in Händen hielt und dem Rotbart nachblickte, konnte er sein Glück kaum fassen. Ein halbes Jahr lang hatte er mit einer Talgkerze die Nächte durchgearbeitet. Bis an die Grenzen seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit war er gegangen und hatte tatsächlich erreicht, wonach er all die Monate gestrebt hatte: Er, Hartmann von Aue, hatte in Wort und Tat bewiesen, dass Größe nicht nur durch Geburt, sondern auch durch Leistung erreicht werden konnte. Die Edelleute drängelten sich heran, um ihn zu beglückwünschen,
um einen Blick auf die kaiserliche Waffe zu werfen oder ihn zu berühren. Hartmann nahm zahllose Einladungen entgegen und schüttelte schwielige, große, kleine und zarte Hände. Immer wieder dachte er nur Eines: Ich habe es geschafft! Ich habe es geschafft! Ich habe es ...
Der Mond war mittlerweile aufgegangen und schien auf die vorgelagerte Halbinsel. Mehrere Lauben standen um einen Tanzanger. Der dunkle Fluss gurgelte vorüber und schwemmte die Abfälle des Festes an den Strand. ZwischenTonscherben, zerbrochenen Fässern und abgenagten Knochen bewegten sich die hellen Leiber der ineinander Verschlungenen.
Hartmann lehnte an einem Fass und beobachtete die Tanzenden. Seine Freude über den errungenen Sieg war abgeklungen. Eine leichte Melancholie erfüllte ihn nun, wie sie sich immer einstellte, wenn er ein Werk vollendet hatte. Er fühlte sich leer und fragte sich, was er nun anfangen sollte. Sollte er sich endlich um ein eigenes Heim kümmern?
Er stellte diese Überlegung nicht zum ersten Mal an und wusste daher, dass sie zu nichts führen würde. Eine Zweckheirat würde ihm nicht helfen und eine ungeliebte Frau würde er schon bald als Ballast empfinden. Da war es schon besser, wenn alles so blieb, wie es war. Die Einsamkeit konnte er betäuben, indem er sich in die Arbeit stürzte. Ja, vielleicht sollte er bald mit dem nächsten Roman beginnen.
In einem Zug trank er den ganzen Krug leer. Der Wacholderbeerwein war mit reichlich Honig und Kräutern versetzt. Glaubte man den Worten des Schankwirtes,
führte der Fusel zu geistiger Llmnachtung und Liebestollheit. Niemand ließ sich von dieser Aussicht abschrecken. Vielmehr waren die Soldaten, Huren, Handwerker, Jungfrauen, Jongleure und Marktfrauen ganz versessen darauf, die Wirkung zu erproben. Im flackernden Schein der Fackeln tanzten sie immer wilder und stemmten sich gegen die Ewigkeit. Von dem Fiedler forderten sie eine Zugabe nach der anderen. Der Mann war ein Routinier und beherrschte sein Instrument mit erstaunlicher Kunstfertigkeit. Ein jungenhafter Sänger begleitete ihn und heizte der aufgeputschten Menge ein. Wann immer er seine Stimme senkte, um von einer Strophe in die nächste zu wechseln, ertönte vom Flussstrand und aus dem umliegenden Buschwerk gedehntes Seufzen und Stöhnen.
Hartmann leerte auch den zweiten und dritten Krug. Er fühlte sich stark berauscht, als sich eine Frau zu ihm gesellte. Ihr Gesicht war im Schatten der Kapuze kaum zu erkennen. Er sah nur ihre schimmerndenAugen, in denen sich die züngelnden Flammen des Lagerfeuers spiegelten.
»Ich beobachte dich schon eine ganze Weile«, sagte sie. »Bist du ein Priester des altenVolkes? Ich hab gesehen, wie deine Augen in der Dunkelheit
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