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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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bereitgestellt. Heinrich VI., der etwas gefasster wirkte als sein jüngerer Bruder, bat darum, dass sämtliche »militibus, captivis et cruce signatis«, Ritter, Gefangene und Kreuzfahrer, näher treten mögen.
    In diesem Augenblick ertönten laute Kommandos von der Ehrentribüne her. Fast alle Reichsfürsten erhoben sich und stiegen die Stufen hinab. Auf ihren Befehl trafen mehrere Dutzend zusätzliche Ochsenkarren ein. Die Reichsfürsten hatten beschlossen, ihren Anführer zu unterstützen und die Bedürftigen mit einzubeziehen. Niemand sollte den Festplatz ohne ein Geschenk verlassen. Jeder Edelmann wollte der freigebigste sein, und immer größere Kostbarkeiten kamen zum Vorschein. Die Beschenkten ließen sich den Wettstreit gerne gefallen und nahmen »equi, vestes preciose, aurum et argentum(( - Pferde, kostbare Kleider, Gold und Silber - entgegen.
    Berthold von Zähringen war auf der Ehrentribüne sitzen geblieben und hatte seine Hände zu Fäusten geballt. »Warum haben sie mich nicht eingeweiht? Mein letztes Wams hätte ich hergegeben!«
    Auf dem Festplatz brach ein heilloses Durcheinander aus. Durch den Verkauf eines Geschenks konnten die Tagelöhner genug verdienen, um ihre Familie einen Winter
zu ernähren. Unter Einsatz von Ellenbogen und Fäusten drängelten sie sich weiter nach vorne. Sie hatten keine Ahnung, dass in den Zeltfluchten, in Waldstücken und Hinterhöfen die Strauchdiebe schon die Messer wetzten. Hohe Strafen waren auf die Brechung des Lagerfriedens ausgesetzt, aber die unglaublichen Menschenmassen begünstigten die Flucht, so dass es abseits der Wege zu erbitterten Kämpfen kam. Immer mehr kaiserliche Soldaten rückten aus, um den Festfrieden wiederherzustellen.
    Unter Posaunenschall verkündete der Ausrufer, dass im Hirschtal ein gyrus, ein Kriegerspiel, veranstaltet werden sollte. Mitzunehmen seien blaue oder rote Wämser, Tücher und Stoffbahnen, um zwei Parteien zu bilden. Für das leibliche Wohl der Damen wäre gesorgt, um ihnen das Zuschauen so angenehm wie möglich zu gestalten.
    »Ich will mitreiten«, rief der Herzog von Zähringen. »Ja, verdammt, ich will auch kämpfen!«
    »Ich glaube nicht, dass Eure Äußerung eines Kommentars bedarf«, sagte Bruder Stephan streng. »Natürlich werdet Ihr nicht mitreiten.«
    »Wenn das so ist«, sagte Berthold grimmig, »soll auch kein anderer Zähringer daran teilnehmen!«
    Hartmann hätte seinem Herrn vor Erleichterung beinahe gedankt. Bis spät in die Nacht hatte er mit Burkhard und verschiedenen Musikanten gezecht und kaum Schlaf gefunden. Sich auf einem Pferd in ein wildes Getümmel zu stürzen, bei dem er jederzeit aus dem Sattel gestoßen und von anderen Gäulen zertrampelt werden könnte, war ungefähr das Letzte, wonach ihm gerade der Sinn stand. Außerdem könnte er sich so auf die Fortsetzung des Wettstreits vorbereiten.

    Von den sechs Dichtern, die am Pfingstsonntag angetreten waren, hatte sich einer in der Nacht zu Pfingstmontag an einer Messerstecherei beteiligt und war seinen Stichwunden erlegen, ein anderer war mit der Ehefrau eines Markgrafen durchgebrannt und zwei weitere saßen betrübt vor leeren Bänken. Alle Zuhörer verteilten sich zur Mittagsstunde auf zwei Zelte. In einem las Heinrich von Veldeke aus seinem Eneas -Roman, in dem anderen trug Hartmann aus seinem Erec vor. Um mehr Platz für das Publikum zu schaffen, waren Bänke hinausgetragen worden. In den vorderen Reihen saßen die Damen mit angezogenen Knien, in den hinteren Reihen stellten sich die Männer auf die Zehenspitzen und reckten ihre Köpfe.
    Für den Vortrag mobilisierte Hartmann seine letzten Reserven. Sein Verstand raste, seine Augen glühten und sein Körper fühlte sich leicht wie eine Gänsefeder an. Eine fiebrige Energie trieb ihn von einem Höhepunkt zum nächsten. »Der Duft war so herrlich / vom Obst und von den Blüten / (...) / und so prächtig der Anblick, / wer von Kummer / bedrückt wäre / und hineinkäme, / der müsste ihn vergessen.«4 Er bekam zuerst gar nicht mit, dass nach einer Weile ein einzelner Soldat das Zelt betreten hatte. Mit einer metallischen Stimme verkündete der Mann nun, dass der Kaiser soeben eingetroffen wäre, um die Siegerehrung vorzunehmen. Hartmann hätte seinen Vortrag gerne noch abgerundet, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in den Ablauf zu fügen.
    Durch den Hinterausgang trat er ins Freie und ging - an der blauen Seitenwand des Nachbarzeltes vorbei - auf den Vorplatz. Der Kaiser erwartete ihn

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