Der Minnesaenger
er mehr erreicht, als er jemals gehofft hatte.
»Euer Erfolg scheint Euch nicht zu freuen!«
»Doch, doch - mir fehlen nur die Worte.«
»Dann ist der rechte Zeitpunkt gekommen, um Euch den Zweck meines Besuches zu offenbaren. Der Kaiser will Euch für sich gewinnen.«
»Was?«
»Ja, Ihr habt ganz recht gehört. Ihr sollt einen festen Platz in seinem Hofstaat einnehmen. Er würde Euch sogar ein eigenes Lehen geben. Der Kaiser hat gesagt, dass ein Dichter von Eurem Format an seine Seite gehört.«
Hartmann erhob sich. »Das ist eine große Ehre.«
»Also, nehmt Ihr das Angebot an?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Wenn Ihr es zur Bedingung macht, in den Adelsstand erhoben zu werden, würde der Kaiser mit sich reden lassen. Ich könnte das klären.«
»Das ist ein verlockendes Angebot, aber ich bin ein Dienstmann des Herzogs von Zähringen. Er hat viel für mich getan. Sein Vertrauen ermöglichte es mir, das Klagebüchlein, die Minnelieder und den Erec zu verfassen. Jetzt, da ich ein wenig Erfolg habe, werde ich ihm nicht den Rücken kehren.«
»Man erzählt sich, dass Berthold bettlägerig ist. Es soll nur noch eine Frage der Zeit sein, wann er stirbt. Auch habe ich in Erfahrung gebracht, dass Euer Verhältnis zum Thronfolger nicht gut ist. Was soll aus Euch werden, wenn der alte Herzog stirbt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann kommt mit mir! Der Kaiser unterbreitet ein solches Angebot nur einmal. Lehnt Ihr es heute ab, so lehnt Ihr es für alle Zeiten ab.«
»Ich hätte Euch gerne unter anderen Umständen getroffen und hoffe, dass wir noch einmal die Gelegenheit bekommen, uns über unsere Arbeiten auszutauschen, aber ich kann das Angebot wirklich nicht annehmen. Meine Absage richtet sich nicht gegen den Kaiser, sondern entscheidet sich für meinen Herrn. Lebt wohl, Friedrich.«
»Das hoffe ich auch«, sagte der Diplomat und rief Hartmann nach, der schon im Gehen war: »Ihr habt mehr Ähnlichkeit mit Erec, als Ihr glaubt!«
Im Jahre des Herrn 1186
1.
»Ihr habt mich rufen lassen«, sagte Hartmann und blickte auf seinen Herrn, dessen Zustand sich im vergangenen Jahr stark verschlechtert hatte. Während sich die Haut über seinem Gesicht so straff spannte, dass sich jede Knochenmulde abzeichnete, hatte sich in seinen Beinen so viel Flüssigkeit abgelagert, dass schon ein ganzer leichter Druck genügte, um weißliche Tropfen austreten zu lassen. Seit dem letzten Sommer hatte er sein Krankenlager nicht mehr verlassen.
»Komm und setz dich zu mir«, sagte der Herzog und rückte ein Stück zur Seite. »Bei dir hatte ich immer das Gefühl, dass ich alles sagen kann, was mir auf der Seele liegt. Deshalb sollst du als Erster erfahren, dass ich von meinem Tod geträumt habe.«
»Herr«, erwiderte Hartmann, »ich weiß um den Aberglauben des Volkes, dass Träume die Zukunft voraussagen, aber schon Cicero belächelte in seiner Abhandlung De divinatione die Vorstellung, dass die Götter sich die Mühe machen könnten, Botschaften an Normalsterbliche zu versenden. In Wirklichkeit seien die Träume nichts anderes als verworrene Erinnerungen aus dem wachen Leben.«
»Ich weiß, dass du es nur gut meinst, aber du brauchst mich nicht zu beruhigen. Meine Seele wird sich viel freier fühlen, wenn sie die Last meines Körpers abgeschüttelt hat. Lassen wir es dabei bewenden.«
»Wie Ihr wünscht, Herr.«
»Du weißt, dass ich nie ein großer Wohltäter der Kirche war. Du weißt aber auch, dass ich mich immer großzügig gegen mein Volk gezeigt habe. So will ich den Menschen in Erinnerung bleiben. Ich habe einen Plan, aber ich kann ihn nicht alleine umsetzen. Willst du mir einen letzten Dienst erweisen, auch wenn dir dadurch Nachteile entstehen könnten?«
»Ihr könnt auf mich zählen!«
»Geh zu Bruder Stephan und lasse dir alle Säckel mit Münzen aushändigen, die er in seiner Schatztruhe hortet. Dann zäunst du zwei Pferde vor einen Karren und wartest auf mich.«
»Was habt Ihr vor?«
»Lass dich überraschen.«
Wenig später trugen zwei Edelknaben den Herzog von Zähringen die Freitreppe hinunter. Das schlichte, schwarze Büßerhemd ließ sein Gesicht noch blasser erscheinen. Als Hartmann seinen Herrn übernahm, stellte er fest, dass der Herzog kaum mehr wog als ein Kind. Ohne große Anstrengung hob er ihn über die Seitenwand der Ladefläche und setzte ihn ab.
»Danke, mein Junge«, sagte der Herzog. »Hat Bruder Stephan dir einen Vortrag über meine Verschwendungssucht gehalten oder hat er die
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