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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinem Geschlecht noch nach seinem Stand noch nach seiner Herkunft. Ihr orientiert euch einzig und allein daran, wie er sich verhält und was er von sich gibt.«
    »Es freut mich, dass du eine so hohe Meinung von mir hast.«
    Judith lächelte und wandte ihm den Kopf zu. »Warum hast du eigentlich die Huld Bertholds verloren?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wenn ich ein Fürst wäre und einen Dichter von deiner Bekanntheit in meinen Reihen hätte, würde ich alles tun, um ihn an mich zu binden. Dass der Zähringer dich mit einer solchen Missachtung straft, muss einen Grund haben.«
    »Vor vielen Jahren bekamen wir zusammen Schwertunterricht. Da fing alles an. Für den Thronfolger war meine Teilnahme eine Beleidigung.«
    »Er betrachtet dich also nicht als seinesgleichen, aber für alle anderen Ministerialen findet er auch eine Verwendung. Es muss noch einen anderen Grund geben. Wie war sein Verhältnis zu seinem Vater?«
    »Ich würde sagen, dass er keines hatte. Er fühlte sich
mehr mit seiner Mutter verbunden, die sehr zurückgezogen lebte und früh verstarb.«
    »Und umgekehrt?«
    »Der Herzog konnte mit seinem Sohn genauso wenig anfangen. Unter vier Augen nannte er ihn einmal einen ›verdammten Frömmler‹. Die beiden waren einfach zu unterschiedlich, um sich zu schätzen.«
    »Und wie war das Verhältnis des alten Herzogs zu dir?«
    »Ich war gerade mal sechzehn Jahre alt, da ließ er mich gegen Friedrich den Schwarzen kämpfen, und ich habe seine Erwartungen nicht enttäuscht. Mit den Jahren betraute er mich mit immer mehr Aufgaben und ich löste sie alle zu seiner Zufriedenheit. Der Herzog vertraute mir mehr als jedem anderen Berater und sprach zu mir auch von seinen geheimsten Sorgen.«
    »Möglicherweise hast du alle Eigenschaften verkörpert, die er sich von seinem Sohn gewünscht hätte. Möglicherweise spürte der Thronfolger, dass sein Vater dich bevorzugte, und war eifersüchtig. Ja, wahrscheinlich begegnet er dir deshalb mit so viel Feindseligkeit.«
    Sie kamen an zwei Schlehdornsträuchern vorbei. Zahllose gelbe, blaue und rote Schmetterlinge flatterten umher und labten sich an dem Nektar. Die weißen Blüten erschienen lange vor dem Laubaustrieb und verströmten einen süßen Mandelgeruch. In einer Flussschleife betraten sie einen kleinen Strand. Schilf und Holzstücke dümpelten an der Wasserkante. In der Strömung trieb ein länglicher Kahn und ein Fischerjunge warf sein Netz aus.
    »Selbst wenn es so ist«, sagte Hartmann, »ändert das nichts an meiner Situation.«
    »Wenn du weiterhin den Kopf in den Sand steckst, wird
sich nichts ändern - das stimmt wohl. Aber wenn du etwas unternimmst, bekommst du vielleicht eine Chance.«
    »Und wie soll die aussehen? Der Herzog hat genügend Berater. Er ist nicht auf mich angewiesen.«
    »Einen weiteren Dichter von deiner Qualität hat er nicht in seinen Reihen. Du solltest deinen Wert nicht unterschätzen. Ein Versuch kann jedenfalls nichts schaden.«

3.
    Einige Wochen später setzte sich Judith mit einem Schemel an das Bett der alten Gundula und strich ihr einige Strähnen aus dem Gesicht. Dann schlug sie die Wolldecke zurück und schob ihr das Nachthemd hoch. Die Schenkel, der Bauch und die Hüften waren von Stichen und blutverkrusteten Striemen übersät.
    »Du sollst dich doch nicht kratzen!«, sagte Judith.
    »Aber es hat so gejuckt!«, erwiderte Gundula.
    »Hilft die Salbe nicht?«
    »Doch, sie kühlt die Haut ganz wunderbar, aber sie wirkt nicht die ganze Nacht lang.«
    »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vor der Schlafenszeit noch einmal gekommen!«
    »Ich will dir nicht immer so viel Mühe bereiten, mein Kind! Du hast schon mehr als genug zu tun.«
    »Sprich nicht so«, sagte Judith und tauchte den Mittelund Zeigefinger in den mitgebrachtenTiegel. Sie förderte einen weißen, glänzenden Klumpen zutage, den sie zerdrückte und auf den wunden Stellen verteilte. Die Flöhe waren eine Plage. So oft sie die Matratzen auch ausräucherte - früher oder später nisteten sich die kleinen
Quälgeister wieder in den Strohfäden ein und traktierten die Patienten.
    »Kommt Hartmann heute?«, fragte Gundula.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich bin fast blind, aber meine Nase ist noch ganz gut. Immer wenn er kommt, reibst du deine Haut mit einem Aloebalsam ein, und dein Haar riecht nach einem Duftöl.«
    »Das bildest du dir ein«, sagte Judith und spürte, wie sie rot wurde.
    Hartmann kam nicht mehr jedenTag, sondern nur noch an den Sonn- und Feiertagen.

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